: Unser Kanzler ein Verfassungsfeind?
■ Helmut Kohls Idee, die Grundgesetzänderung des Asylartikels zu unterlaufen, stößt auf Protest
Berlin (taz) – Bundeskanzler Kohl scheut den Verfassungsbruch nicht. Sollten sich die Sozialdemokraten bei ihrem kommenden Sonderparteitag Mitte November nicht zu der von der Union geforderten Änderung des Asylartikels in der Verfassung durchringen, will Kohl nach Informationen der Bild am Sonntag alle geplanten Maßnahmen einschließlich der sogenannten Länderlisten im Bundestag mit einfacher Mehrheit verabschieden lassen. Entsprechende Pläne soll der Kanzler in einer Koalitionsrunde vorgetragen haben. Die SPD solle so vor die Wahl gestellt werden, dies zu akzeptieren oder vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. Der Wähler soll dann sehen können, wer Maßnahmen gegen den „Asylmißbrauch“ verhindert.
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Johannes Gerster, setzte noch eins drauf: Er kreierte den Begriff des „sozialen Notstandes“. Mit der steigenden Anzahl der Asylantragsteller auf „mindestens 500.000 in diesem Jahr ist ein klarer Notstand gegeben“. Ganz im Sinne des Kanzlers polemisierte Gerster: Wenn die SPD eine Grundgesetzänderung ablehne, müsse ein „Asylsicherungsgesetz“ erwogen werden. Der CDU-Mann sieht eine „Notstandssituation“ bereits für den Fall gegeben, daß sich der Beitrag der SPD zur geplanten Änderung des Artikels 16 als „Mogelpackung“ erweise.
Der Vorsitzende des Innenausschusses in Bonn, Hans-Gottfried Bernrath (SPD), wies Kohls Pläne als rechtswidrig zurück. Das Bundesverfassungsgericht werde ihn schnell stoppen. Sollten Kohl und Gerster ihre Absichten weiter verfolgen, steht auch der Regierungskoalition der nächste Krach ins Haus. Für die FDP hielt Burkhard Hirsch dem Koalitionspartner entgegen, daß es „kein Staatsnotstand“ sein könne, „wenn man sich auch für Verfassungsänderungen an die Verfassung halten muß“. Er sprach von Drohgebärden, wenn verfassungswidrige Gesetze angekündigt würden.
Auf seiten der Grünen forderten Angelika Beer und Claudia Roth die Bonner Parlamentarier auf, sich eindeutig von den „Ermächtigungsplänen“ Kohls und Gersters zu distanzieren. „Wer wie sie die Anwesenheit von Kriegsflüchtlingen und Asylbewerbern in Deutschland als Ursache für einen nationalen Notstand bezeichnet, sollte gleich selbst Hand an das nächste Asylbewerberheim legen.“ Seiten 3 und 10
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