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Der Monolog des Stärkeren

■ Thomas Bernhards Komödie Die Macht der Gewohnheit überzeugte bei der Premiere im Schauspielhaus

Komödie Die Macht der Gewohnheit überzeugte bei der Premiere im Schauspielhaus

Dieses Wochenende war Schubert-Wochenende. Nachdem Der Tod und das Mädchen dem Ariel Dorfman-Stück, das am Samstag im Thalia Premiere hatte, Name und musikalisches Motiv geliehen hatte, drehte sich auch bei der sonntäglichen Premiere von Thomas Bernhards Die Macht der Gewohnheit im Schauspielhaus alles um ein Stück des Wiener Komponisten.

Zirkusdirektor Caribaldi, ein Familiendespot der besonderen Sorte, läßt seit 22 Jahren allabendlich in seinem Wohnwagen das Forellen-Quintett proben. Längst haßt er selbst Musik und Instrument, doch motiviert von künstlerischer Manie, zwanghafter Disziplinversessenheit und bockiger Unfähigkeit, das eigene Scheitern zu akzeptieren, zwingt er unbeirrbar vier Mitglieder der Artistentruppe an die Instrumente. Um sie seiner perfiden Vision von Perfektion zu verpflichten, gleichzeitig aber um sich seine „Genialität“ vorzuhalten, deckelt er seine Umwelt mit Überansprüchen und Gemeinheiten.

Diese wehrt sich mit unterschiedlichen Methoden gegen die künstlerische Militarisierung und bringt damit die Probe mit der gleichen Konsequenz zum Scheitern. Seine Enkelin (Anuk Ens) boykottiert das „Meisterwerk“ durch blinden Gehorsam, der Dompteur (Christian Redl) durch zehn Bier, der Jongleur (Gerhard Garbes) durch eine Doppelstrategie aus Schleimerei und nutzloser Kritik und der Spaßmacher (Ingo Hülsmann) schließlich durch Narreteien. Caribaldis Neurosen färben ab und bilden je nach Temperament komplementäre Reaktionen.

In diesem absurden Terrain menschlicher Verzweiflung, sinnloser Krämpfe und Duckmäusertum unter den Monolog des Stärkeren entsteht ein unterhaltsamer Theaterabend, der bösen Witz und genaue Zeichnung verbindet. Regisseurin Monika Steil ist es gelungen, dem Stück Fluß zu verleihen, die Monotonie der Gewohnheit in ein spannendes Pamphlet zu verwandeln. Indem sie extreme Typen entwirft, verschärft sie die Dissonanzen, ohne aus der subtilen Komödie ein Klamauk zu machen.

Peter Fitz als der bernhardsche Pedant Caribaldi spielt den verstockten Wahnwitz mit Bravour und auch die vier gequälten, schicksalsergebenen Artisten sind hervorragend. In dem aufgesägten Zirkuswagen (Bühne: Birgit Voß)

1spulen sie ihre Rituale ab und wahren dennoch ihren Stolz unter den Habichtsaugen des Nörglers. In stillen Koalitionen stützen sie sich

1gegen die Diktatur der Besserwisserei, auch wenn sie die zementierten Widersprüche nicht zu lösen fähig sind.

1Eine überzeugende Bernhard-Inszenierung, die den Grat zwischen Bärbeißigkeit und Ödnis mit Charme nimmt. Till Briegleb

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