Adass Jisroel zieht vor das Gericht

Senat erkennt die Synagogengemeinschaft nicht als Körperschaft des öffentlichen Rechts an/ Die Claims Conference hat beim Vermögensamt Rückerstattungsansprüche angemeldet  ■ Von Anita Kugler

Berlin. Für die Jewish Claims Conference hat die kürzlich getroffene Entscheidung des Berliner Senats, die kleine orthodoxe Synagogengemeinde Adass Jisroel nicht als Nachfolgerin der von den Nationalsozialisten aufgelösten Gemeinde anzuerkennen, große Bedeutung. Für sie ist jetzt der Weg frei, die von Adass Jisroel derzeit „widerrechtlich“ genutzten Grundstücke einzufordern. Das sagte Karl Brozik, Rechtsanwalt und Statthalter der Claims Conference Dependence in Frankfurt, gegenüber der taz. Einen Rückerstattungsanspruch beim Vermögensamt Berlin-Mitte habe seine Institution bereits am 15. Februar 1991 gestellt.

Ansprüche werden auf fünf Grundstücke gestellt, von denen zwei „juristisch wasserdicht“ seien. Hierbei handele es sich um das Gemeindezentrum von Adass Jisroel in der Tucholskystraße und um das ehemalige Altenheim und Krankenhaus in der Wilhelm-Pieck- Straße 153. Um eventuell vorhandene Ansprüche nicht zu verlieren, habe die Claims Conference auch Vermögenswerte zurückgefordert, die nicht ganz eindeutig Adass Jisroel vor 1941 gehörten, sondern eventuell nur angemietet waren. Es handele sich um die Grundstücke in der Invalidenstraße 127, in der Elsässer Straße Nr. 85 (jetzt Wilhelm-Pieck-Straße) und um die Prenzlauer Allee Nr. 6. Die Restitutionsansprüche seien anhand eines 1932 publizierten „Führers durch die Gemeindeverwaltungen und Wohlfahrtspflege“ gestellt worden.

Die Claims Conference, sagte Brozik, handele mit ihren Ansprüchen nicht nur „formaljuristisch“, sondern auch „moralisch“ völlig korrekt. Als Rechtsnachfolgerin der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ sei sie Eigentümerin all der Vermögenswerte, die der jüdische Dachverband einst besessen habe.

Mit der Auflösungsverfügung an Adass Jisroel vom 25. Oktober 1939 und der Zwangsintegrierung in die „Reichsvereinigung“ am 18. Dezember 1939 seien die Grundstücke an den Einheitsverband gefallen und gehörten damit jetzt – laut Einigungsvertrag – der Jewish Claims Conference. Moralisch sei man zu Restitutionsansprüchen berechtigt, weil die 1989 von der letzten DDR-Regierung wieder als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ anerkannte Adass Jisroel nicht die Nachfolgegemeinde der einst ehrwürdigen Religionsgemeinschaft sei. Die 1989 erfolgte „Wiedereinsetzung“ der Gemeinde in ihre „alten Rechte“ sei also „nichtig“. Die jetzige Synagogengemeinschaft unter der Führung der Familie Offenberg würde den „gut klingenden“ Namen „zu Unrecht“ benutzen und dies trotz weltweiten „Protests von zahlreichen Adassianern“. „Sie haben Besitz genommen, der ihnen nicht gehört“, sagte Brozik.

Ganz anders betrachtet der Vorstand von Adass Jisroel die Frage der Anerkennung und damit auch über die Verfügung der Grundstücke. Er erhob am 14. September Klage beim Verwaltungsgericht. Die Gemeinde lebe am traditionellen Ort, Adassianer von vor 1939 seien in ihr aktiv tätig, sie verfüge über alle zum orthodoxen Glauben notwendigen Kultuseinrichtungen und pflege den Glauben und die Gebräuche. Sie begreife sich nicht nur als in der Tradition der alten unabhängigen Synagogengemeinde stehend, sondern sei direkte Nachfolgerin der 1939 aufgelösten Gemeinde, argumentiert der Bonner Jurist Redeker in einem sechzigseitigen Gutachten.

Die jetzige Feststellungsklage ist die zweite in gleicher Sache. Die erste Klage vor dem Verwaltungsgericht zog der Vorstand von Adass Jisroel im März 1991 zurück, um Verhandlungen mit dem für Religionsfragen zuständigen Kultursenator – so Mario Offenberg, Sprecher der Gemeinde – „nicht zu belasten“. Nach dem vor etwa 14 Tagen, allerdings außerhalb der Tagesordnung und deshalb nicht offiziell gefällten Beschluß des Senats, die Gemeinde als Neugründung zu betrachten, gibt es nichts mehr zu belasten.

Wenn Offenberg die Klage nicht erneut wieder zurückzieht, sagt der Pressesprecher des Verwaltungsgerichts, könnte das Verfahren im nächsten Frühjahr beginnen. Bis dahin müßten die Gutachten der Kulturverwaltung vorliegen. Von Relevanz sei im anstehenden Verfahren nicht nur die heutige Aktivität der Gemeinde, sondern auch „ihre Geschichte von den 60ern bis in die 80er Jahre“. Denn entscheidendes Kriterium für eine „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ sei ihre Kontinuität. Wenn Adass Jisroel jetzt argumentiere, daß die jetzige Gemeinde nicht nur im Geist der 1939 aufgelösten Gemeinschaft lebe, sondern die alte Gemeinde sei, hieß es aus der Kulturverwaltung, dann müsse der Vorstand belegen, warum sie sich 1954 aus dem Vereinsregister löschen ließ und bis 1986 schwieg.

Angehört werden müßten bei dem anstehenden Verfahren neben Adass Jisroel, der Kultur- und Justizverwaltung auch die Jüdische Gemeinde von Berlin. Deren Vorsitzender Jerzy Kanal akzeptiert die jetzige Gemeinde genausowenig als Nachfolgeinstitution der alten Religionsgemeinschaft wie der verstorbene Heinz Galinski. Bei einem Verfahren gehört werden möchte auch die Jewish Claims Conference, die im Unterschied zu allen anderen Parteien direkte materielle Interessen hat. Sollte das Gericht „entgegen aller Wahrscheinlichkeit“ feststellen, daß die jetzige Gemeinde Rechtsnachfolgerin der alten Adass Jisroel sei, will die Claims Conference ihrerseits ein Verfahren wegen „Namensmißbrauch und unredlichen Besitz“ gegen die Familie Offenberg anstrengen, sagte Borzik. Seine Institution sei bereit, bis vor das Bundesverwaltungsgericht zu ziehen.

Über Erfahrung mit der Reklamierung von Adass-Besitz verfügt die Claims Conference bereits. 1953 erreichte es ihre damalige Partnerinstitution, die Jewish Trust Corporation, im Zusammenspiel mit Senat und Jüdischer Gemeinde, daß der Grundbesitz von Adass Jisroel im Westteil der Stadt dem JWT übereignet wurde.

Unabhängig von Beschlüssen und Klagen will der Senat die Gemeinde in Zukunft aber wie vergleichbare Religionsgemeinschaften behandeln, hieß es aus dem Hause des Kultursenators. Sie erhält demnächst 110.000 Mark zur Sanierung der Heizungsanlagen im Gemeindehaus in der Tucholskystraße. Zudem soll ein Pfleger für den Friedhof in Weißensee bestellt und vom Senat finanziert werden. Der Friedhof wurde in den vergangenen Monaten mehrfach geschändet.