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Nik Cohn: Einzelgänger

■ Von „AWopBopaLooBopALopBamboom“ zu „The Heart of the World“

Nik Cohn, 46, aufgewachsen in Londonderry, wurde im London der Sechziger berühmt als präziser Beobachter des Rock 'n' Roll. Mit „Pop from the Beginning“ (AWopBopaLooBopALopBamboom) schrieb er 1969 im Alter von 22 die erste und für viele bereits endgültige Geschichte der Popmusik. Die Idee für „Saturday Night Fever“ brachte ihm eine Million und half ihm durch die Siebziger. Im Frühjahr erschien mit „The Heart of the World“ („Das Herz der Welt“, Hanser, München 1992, 390 Seiten, 45 Mark) sein von der New York Times bis zum Spiegel gefeierter erster Roman. Darin schildert er in epischer Breite einen Spaziergang, der ihn den New Yorker Broadway hinauf- und wieder herunterführt und in dessen Verlauf ihm verschiedene Broadway-Schicksale begegnen. Unser Autor traf Nik Cohn während einer Promotiontour in einem Tübinger Restaurant.

taz: Mr. Cohn, haben Sie Popgeschichte geschrieben?

Nik Cohn: Ich habe eine Geschichte der Popmusik geschrieben. Aber das war 1968. Seither habe ich keine Zeile mehr über Popmusik verfaßt.

Sie sind damals ausgestiegen, weil Sie der Meinung waren, daß im Grunde zu diesem Thema alles gesagt war?

Ja, das kann man so sagen. Was bis 1968 passierte, war, daß Bands unter verschiedenen Namen und mittels verschiedener elektronischer Kombinationen dieselben Muster wiederholten und wiederholten und wiederholten.

Sie galten als „Speedschreiber des Pop“. Können Sie skizzieren, wie Sie damals gearbeitet haben?

Jemand hat mich gefragt, warum ich so lange gebraucht habe, um „The Heart of the World“ zu schreiben, und ich habe geantwortet: Um über Elvis Presley zu schreiben, braucht man nicht nach Memphis zu gehen und sechs Monate dort mit ihm zu verbringen. Wenn man seine Vorstellungskraft arbeiten läßt, dann ist das in Ordnung, denn Pop ist Phantasie. Es geht im wesentlichen darum, die Phantasien hinter einem Teenagerleben zu begreifen, und sie sind im Grunde recht simpel. Und sie ändern sich nie. Bei Erwachsenen mit Lebenserfahrung ist das anders.

„The Heart of the World“ handelt im wesentlichen von Erwachsenen. Sie haben Ihre Arbeitsweise dieser Veränderung angepaßt, sich viele Monate in einem Hotel am Broadway eingemietet und dann auf der Straße recherchiert. Wie ging das vor sich?

Die Leute haben mir ihre Geschichten erzählt. Nicht sofort natürlich. Ich habe sie getroffen, wir haben uns kennengelernt, und als wir eine Vertrauensbasis hergestellt hatten, sagte ich: Hör mal zu, ich schreibe dieses Buch, willst du drin vorkommen? Erst von diesem Zeitpunkt an habe ich das Tonband eingeschaltet. Manche Leute sind mir auch gezielt empfohlen worden. Mit anderen dagegen brauchte es Monate, bis sie an dem Punkt waren, an dem sie Vertrauen faßten.

Und dann haben Sie einfach mitgeschrieben?

Hm, ja. Es war sehr einfach. Es handelt sich in keiner Weise um ein Werk meiner Phantasie. Ich habe die Sachen nur gefiltert, mit dem Auge des Schriftstellers. Das Problem des Buches war eigentlich, die Zahl der Leute und Geschichten nicht zu groß werden zu lassen. Ich konnte längst nicht alle unterbringen. Heute kann ich nicht mehr über den Broadway gehen, weil mir dort viele auf die Schulter klopfen und fragen: Hey, was ist mit meinem Kapitel?

Wie erklären Sie sich diese große Resonanz?

Die Leute lieben es, ihre Geschichte zu erzählen. Sie kommen an einen bestimmten Punkt in ihrem Leben und fragen sich: Was passiert, wenn ich tot bin? Und dann kommt einer daher und sagt, hör mal, ich will wirklich wissen, was so alles passiert ist. Ich könnte immer noch dort sein und Tausende von Geschichten aufschreiben.

Haben Sie irgendwelche Reaktionen von Leuten bekommen, die in dem Roman vorkommen?

Ja, ich bin noch mit mehr als der Hälfte aller Leute in Kontakt. Was ich gemacht habe, ist keine Sache, wo man wie ein Journalist sein Büchlein zumacht, „Danke, das war's“ sagt und geht. Die Leute haben auch gelesen, was ich geschrieben habe, die meisten allerdings nur das, was über sie drinsteht.

War „The Heart of the World“ das Buch, das Sie unbedingt schreiben wollten?

Ich wollte ein Buch schreiben und herausfinden, was das für eins sein würde, während ich mich vorantastete. Ich habe nicht mit einer fertigen Idee angefangen. Das geht bei einem solchen Buch nicht. Es war ein Lernprozeß; ich wußte, daß ich von den Leuten auf dem Broadway noch vieles zu lernen hatte. Hätte ich von vornherein gesagt, ich mache das so und so, hätte ich mir die Möglichkeit genommen, dazuzulernen.

Wie hat die ganze Sache überhaupt angefangen?

In Irland war der Broadway für mich immer die Straße der Träume. Später lebte ich dort, und eines Nachts trank ich in einer Broadway-Bar mit einem Freund und klagte über die schlechten Bücher zum Thema „Reisen um die Welt“. Und irgendwann sagte ich: „Ich könnte es besser.“ Und der Freund sagte: „Du brauchst nicht um die Welt zu reisen, alles, was du brauchst, ist hier am Broadway!“ Fünf Jahre vergaß ich das Gespräch, dann starb der Freund, ich erinnerte mich und machte mich auf den Weg.

Wann war das?

Vor sieben Jahren habe ich mit dem Roman angefangen, vor zwei Jahren war ich fertig. Ich war also 39, als ich begann.

Sie waren 22, als Sie aus der Popszene ausgestiegen sind. Was haben Sie in der Zwischenzeit gemacht?

Ich hatte die Schule mit 15 verlassen. Ich habe also eine ganze Menge geschrieben, ohne je etwas gelesen zu haben. Mit Ende 20 merkte ich dann, daß ich mich nur noch wiederholte und mit 35 ein alter Furz sein würde. Ich mußte also aufhören und mir neues Material aneignen.

Sie haben ein Jahrzehnt lang privatisiert. Wie haben Sie Ihre Zeit genutzt?

Ich habe eine ganze Menge jeder Art von Literatur gelesen. Ein anderer Teil meines Lebens bestand darin, nur dazusitzen und nachzudenken, einen Großteil habe ich mit Reisen verbracht. Ich bin praktisch durchs ganze Land gereist. Ich habe wirklich acht oder neun Jahre gebraucht, bis ich merkte, ich konnte weitermachen.

In dieser Zeit haben Sie offensichtlich nicht nur sich, sondern auch Ihren Schreibstil entwickelt?

Ja, ich habe jetzt einen ganz anderen Stil, auch einen anderen Rhythmus. Man ändert seinen Stil aber nicht wissentlich. Er ändert sich mit der Person. Ich glaube auch nicht, daß der Autor eine große Kontrolle über seine Stimme hat.

Sondern?

Was man tun kann, ist, sich bereitzuhalten, wenn die Stimme bereit ist zu sprechen. Und das ist im wesentlichen eine Frage der Disziplin. Ich arbeite jeden Tag fünf Stunden, stehe um sechs auf, sitze um sieben an der Schreibmaschine.

Sie haben also den Übergang vom Subkulturhelden zum angesehenen Schriftsteller und ehrenwerten Mitglied des Literaturbetriebs vollzogen?

Angesehener Schriftsteller? Darüber habe ich nie nachgedacht. Bei meinen drei Hunden stehe ich weiterhin in keinem allzu hohen Ansehen. Ich weiß, daß ich ein bestimmtes Talent habe, und wenn ich es nicht vergeude und sehr hart arbeite, werde ich es irgendwann wahrscheinlich rechtfertigen können, Schriftsteller geworden zu sein. Ich bin kein Elfenbeinturm- Schriftsteller, aber ich führe ein abgeschiedenes Leben. Ich fühle mich nie so, daß ich sagen würde, ich brauche jetzt Parties und Trubel.

Aber der Spiegel hat doch gerade erst die romantische Legende von Ihrem Leben auf der „wild side“ verbreitet.

Wie jeder, der die Sechziger und Siebziger durchlebt hat, habe ich meinen Teil vom „wilden Leben“ gehabt. Das war aber nichts, wovon man großes Aufheben machen müßte. Aber bitte, wenn man darauf besteht, daß ich ein wilder Bursche war, der sich die Nächte um die Ohren schlug und in der Drogenszene verkehrte... Es ist eben nur nicht wahr.

Was ist also wahr?

Ich brauche das Schreiben, um mich wohl zu fühlen. Ich freue mich, wenn mich Freunde in Shelter Island besuchen. Aber nach drei Tagen spüre ich körperlich, daß es an der Zeit ist, an die Schreibmaschine zurückzukehren. Ich war immer ein Einzelgänger, aber ich hatte früher nicht die nötige Disziplin. Es zahlt sich für mich aus, stets um etwa dieselbe Zeit ins Bett zu gehen, um dieselbe Zeit aufzustehen und so in einen Rhythmus zu kommen. Ich bin ein sehr langweiliger Bursche geworden. Tut mir wirklich leid. Interview: Peter Unfried

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