■ Radiodays: Donnerstag
Das oft unerschöpflich breit gefächerte Motiv- und Themenspektrum der Spezies RadiomacherIn scheint bisweilen so ganz ohne Rücksicht auf Quotenverluste zu entstehen. Den Beweis hierfür liefert das diesjährige preisgekrönte Fundstück des Prix Italia 92: Schliemanns Radio, ein Hörstück des Frankfurter Audiokünstlers Heiner Goebbels. Diese Zierde bedeutet nicht etwa, daß es sich bei „Schliemanns Radio“ um elitäre entrückt- spinnerte Kunst handelt. Klar, das Stück gräbt einen Stoff aus, der vor allem zum täglichen Brot des Bildungsbürgers gehört(e)! Es geht um Heinrich Schliemann, den umstrittenen „Entdecker“ Trojas. Genau genommen zählt Schliemann zu den Schreckgespenstern heutiger Archäologen. Und gerade dies prädestiniert seinen Fall für eine zeitgenössische, künstlerische Bearbeitung. Denn besessen jagte er, den Homer in der Tasche und den Spaten in der Hand, die mythischen Helden des trojanischen Krieges. Verbohrt, verträumt und pedantisch schaufelte Schliemann sich seiner Vision näher und näher. Und notfalls tat er das auch mit Gewalt! Gewalt heißt in dem Fall, im Rasen der Entdeckerleidenschaft den kühlen Kopf des gewissenhaften Archäologen zu verlieren. Das hieß, sich über die goldene Berufsregel zu erheben und wild drauflos zu zerstören, zu verwischen, wo er geduldig Scherbe um Scherbe hätte katalogisieren sollen. Er hinterließ Steine, Scherben, Fragmente, die Heiner Goebbels auflas und in Töne umsetzte. Folgt man Schliemann und seinem Komponisten auf dieser spannenden Ausgrabung in den mythischen Raum und ins Bewußtsein eines gehetzten Pedanten, erfordert das natürlich gespannte Mitarbeit. Aber manche Radiomacher glauben halt auch noch an die geistige Potenz des Menschen: S2-Kultur, 21.00 Uhr GeHa
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