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Coltförmig ausgebeulte Gesäßtaschen

Die Zahl der unauffälligen Herren in den Straßen der syrischen Hauptstadt ist gestiegen/ Vor allem in Palästinenservierteln vermutet Assad Widerspruch gegen neue Nahostpolitik  ■ Aus Damaskus Klaus Kurzweil

Das Leben in dem Damaszener Palästinenserviertel Mukheyim Filastin ist wenig abwechslungsreich. Die Menschen in den engen Gassen zwischen den zweistöckigen Häusern aus grauen Ytongsteinen haben nicht viel Geld. Und Möglichkeiten zur Zerstreuung gibt es kaum. Rund 300.000 Palästinenser leben in Damaskus und stellen damit rund 15 Prozent der fast zwei Millionen zählenden Einwohner der syrischen Hauptstadt. Die meisten von ihnen wohnen in Mukheyim Filastin oder in den angrenzenden Vierteln Tadamun und Mukheyim Yarmouk. „Mukheyim“ bedeutet eigentlich „Zeltlager“. Der Name ist ein Hinweis auf die Geschichte der Viertel, in denen sich Ende der 40er Jahre und 1967 vor der israelischen Armee geflohene Palästinenser niederließen. Die Zelte tauschten die Flüchtlinge im Laufe der Jahre gegen eilig hochgezogene feste Behausungen, die gleichwohl als vorübergehende Unterkünfte gedacht waren. Die Flüchtlinge hofften auf eine baldige Rückkehr.

Soziales Zentrum von Mukheyim Filastin bildet das „Cinema an- Nudschum“, das „Kino der Sterne“. In dem schäbigen Betonblock laufen meistens alte indische Spielfilme. An den grauen Hauswänden kleben Plakate der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP). Die Organisation George Habaschs gilt als eine der „radikalen“ Palästinensergruppen, die von Syrien mal mehr, mal weniger unterstützt werden. Neben den palästinensischen Postern prangen „Wir lieben Hafiz al-Assad“-Sticker mit einem roten Herz anstelle des Verbs. Eine der zahlreichen verordneten „Liebeserklärungen“ an den syrischen Präsidenten.

Angesichts der soeben zu Ende gegangenen siebten Runde der Nahost-Friedensgespräche in Washington ist die Stimmung in Mukheyim Filastin noch gedrückter als sonst. Viele der Damaszener Palästinenser befürchten, ein syrisch-israelischer Separatfrieden stünde bevor. Die Rede von einem „neuen Camp David“ geht um. Im gleichnamigen Sommersitz des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter hatten sich im September 1978 der israelische Präsident Menachem Begin und sein ägyptischer Amtskollege Anwar al-Sadat die Hände gereicht. Es folgte ein israelisch-ägyptischer Friedensschluß. Die damaligen Verhandlungen wurden von den meisten Palästinensern als Verrat an der eigenen Sache betrachtet. Eine Einschätzung, die von der syrischen Führung bisher offiziell geteilt wurde. Schon vor seinem Wahlsieg hatte der neue US-Präsident Bill Clinton angekündigt, eben diesen Jimmy Carter zum neuen Nahostbeauftragten der USA zu ernennen. Dies erscheint als erstes Anzeichen für die Berechtigung solcher Befürchtungen.

Schon im September bezeichneten politische Beobachter das syrisch-israelische Verhältnis als „besser denn je“. Nachdem die Runde ohne praktische Fortschritte zu Ende ging, war dennoch von einer „neuen Sachlichkeit“ im bilateralen Umgang die Rede. Die syrische Führung scheint sich zusehends von den Positionen der bisher von ihr unterstützten Palästinensergruppen zu distanzieren. Kommentatoren einiger aus Damaskus sendender palästinensischer Radiostationen titulieren die palästinensischen Unterhändler Hanan Aschrawi und Faissal Husseini zwar weiterhin als „Verräter“, jedoch ist fraglich, wie lange sie sich solch harsche Töne noch erlauben können. Hinter vorgehaltener Hand wird in den Gassen von Mukheyim Filastin ebenso wie in den Büros der in Damaskus ansässigen Palästinenserorganisationen gemunkelt, Hafiz al-Assad könnte sich in einer der nächsten Verhandlungsrunden mit der Rückgabe der israelisch besetzten syrischen Golanhöhen zufriedengeben und das Schicksal der Westbank mit Ostjerusalem und des Gaza-Streifens andern überlassen.

Damit solche Befürchtungen nicht zu laut geäußert werden, hat die syrische Führung den in den Palästinenservierteln ohnehin omnipräsenten „Mukhabarat“, den Geheimdienst, weiter verstärkt. Wie in den Zeiten des Golfkrieges stehen an jeder Straßenecke unauffällig gekleidete junge Herren mit coltförmig ausgebeulter Gesäßtasche. Ausländische Besucher, die sich zu sehr für die Belange der Palästinenser interessieren, sind ihnen schnell verdächtig. Manchmal findet man sich unversehens in einem örtlichen Geheimdienstbüro wieder. Ein Geheimdienstler serviert zwar freundlich Kaffee, aber sein Kollege durchsucht einem systematisch die Taschen und die Kleider und erkundigt sich nach den Motiven für den Besuch in diesem Stadtteil.

Auch die Zensur macht sich Sorgen, jemand könnte auf den Gedanken kommen, daß es mit dem syrisch-palästinensischen Verhältnis nicht zum besten steht. Als Yassir Arafat in einer Rede vor einem bevorstehenden syrisch- israelischen Separatfrieden warnte und im gleichen Atemzug Israel scharf angriff, wurden seine Attacken gegen Israel im Wortlaut auf den Titelseiten der syrischen Staatspresse veröffentlicht. Von der Kritik des PLO-Chefs an der syrischen Politik erfuhren einheimische und palästinensische Bewohner Syriens dagegen nur durch ausländische Radiostationen. Auch über die bisherigen Verhandlungsrunden war in syrischen Medien kaum mehr zu erfahren, als daß Syrien den „totalen Frieden“ anbiete und Israel dies halsstarrig ignoriere.

Noch macht die syrische Führung innenpolitisch keinerlei Anstalten, das jahrelang gepflegte Feindbild Israel aufzugeben. Die Gegnerschaft zu Israel ist bislang vielleicht der einzige nationale Konsens im Staat des Hafiz al-Assad. Syrische Rekruten werden weiterhin für einen möglichen Krieg gegen den „zionistischen Feind“ gedrillt. Auf der diesjährigen Damaszener Buchmesse in der Assad-Bibliothek waren antiisraelische und propalästinensische Druckwerke unter den wenigen politischen Büchern mit Abstand am stärksten vertreten. Hinweise auf den außenpolitischen Paradigmenwechsel des früheren „Antiimperialisten“ Hafiz al-Assad boten nur die ausliegende jordanische Übersetzung von George Bushs Autobiographie „Looking Forward“ sowie eine in Damaskus verlegte arabische Fassung des Golfkriegsepos „Storming Norman – an American Heroe“. Hinter vorgehaltener Hand wird einem derweil erzählt, daß sich an der Ölförderung in der syrischen Wüste zunehmend US-Firmen beteiligen. Die häufigen Besuche des früheren US-Außenministers wurden von zynischen Syrern mit der Bemerkung kommentiert: „Genosse Baker kommt.“ In den Jahren zuvor hatten nur Besucher aus dem sozialistischen oder revolutionär-arabischen Ausland so oft Assads Hand geschüttelt.

Eine gewisse ideologische Verunsicherung läßt sich aus den Kommentarspalten der Staats- und Parteizeitung al-Baath allerdings herauslesen. Die USA werden seit Monaten nicht mehr kritisiert, und in den letzten Wochen scheinen die Autoren unschlüssig, ob sie Israel mit oder ohne Anführungszeichen schreiben sollen. Ansonsten haben die Kommentare zu den Friedensgesprächen allesamt den gleichen alten Tenor: Israel sei an allem schuld und Friede unmöglich ohne „die vollständige Räumung aller besetzten arabischen Gebiete“. Diese Formulierungen lassen immerhin offen, ob nur die 1967 besetzten Gebiete gemeint sind oder auch die 1947 okkupierten, also ganz Israel. Solche Maximalforderungen waren noch vor kurzem in Syriens Medien üblich.

Angesichts dieser Unklarheiten ziehen es die meisten Syrer vor, überhaupt nicht über die Washingtoner Verhandlungen zu reden. Wer auf dem Thema dennoch insistiert, erfährt unter dem Siegel absoluter Verschwiegenheit: „Die meisten Syrer wollen Frieden und ihre Ruhe, bloß keinen Krieg mehr. Da ist uns auch der Golan egal.“ Andere sind vorsichtiger und erklären: „Unser weiser Führer wird schon das Richtige tun.“ Die Angst vor den Folgen einer unbedachten Äußerung sitzt tief. Der Geheimdienst scheint überall zu sein. „Die Leute haben begriffen, daß jeder für sie arbeiten kann, sogar der eigene Bruder“, beschreibt ein Syrer die Situation.

Um sein internationales Ansehen aufzupolieren, ließ Staatschef Hafiz al-Assad rechtzeitig zu den Nahost-Gesprächen 2.000 in syrischen Kerkern einsitzende politische Häftlinge frei. Einige von ihnen wurden aber kurz danach wieder festgenommen. Hinzu kamen mehrere hundert in den vergangenen Monaten neu inhaftierte Oppositionelle. Nach Informationen der im Untergrund tätigen „Komitees zur Verteidigung der Menschenrechte und der demokratischen Freiheiten in Syrien“ hat die Zahl der Schnellverfahren gegen politische Dissidenten im obersten Staatssicherheitsgericht in letzter Zeit rapide zugenommen.

Hafiz al-Assad läßt keinen Zweifel daran, daß er fest entschlossen ist, auch einen Friedensschluß mit Israel innenpolitisch zu überleben. Ein solcher Schritt würde freilich alle bisherigen Kehrtwenden des zur Minderheit der Alawiten gehörenden Syrers in den Schatten stellen. Vielleicht wurden deshalb soeben die offiziellen Propaganda-Graffiti an einer der Damaszener Ausfallstraßen vorsorglich nachkoloriert: „Hafiz al-Assad ist unser Führer in alle Ewigkeit“ und „Die Baath-Partei ist unser Weg, Hafiz al-Assad ist unser Führer“, steht in grellbunten Lettern auf den Wänden einer Polizeistation. Aufmerksamen Beobachtern fällt aber auf, daß zu den zahlreichen Titeln und Anreden des Staatschefs wie „Oberster Lehrer“ und „Oberster Feldherr“ in den letzten Monaten zwei neue gekommen sind. Die eine Ehrbezeichnung lautet „Held des Friedens“, die andere schlicht „Abu Bassil“, Vater von Bassil. Bassil ist der Name des ältesten Präsidentensohnes. Der dreißigjährige nahm die Karriereleiter beim syrischen Militär mit riesen Sätzen. Die Tatsache, daß sich Hafiz al-Assad neuerdings öffentlich mit seiner Vaterschaft schmückt, gilt in Damaskus als untrügliches Zeichen dafür, daß er Bassil auf die Amtsübernahme vorbereitet. Der syrische Herrscher ist jetzt 62, und seit Jahrzehnten kursieren Gerüchte über angebliche schwere Krankheiten.

Für demokratieverwöhnte Ohren klingen solche Spekulationen absurd, aber in Syrien, wo alle politischen Entscheidungen in einer Black box gefällt werden, wird das Gerücht zur einzigen Informationsquelle. Ein weiteres Indiz für die Nachlaßplanung des syrischen Staatschefs lieferte die unerwartete Rückkehr des verstoßenen Rifaat al-Assad. Der jüngere Bruder des Präsidenten und Chef der gefürchteten „Kompanien zur Verteidigung der Revolution“ war wegen diverser Skandale und seiner allzu offensichtlichen Beteiligung an Waffen- und Drogengeschäften im Jahr 1985 nach Europa abgeschoben worden. Während einer TV-Übertragung der Beerdigung der im Frühjahr verstorbenen Mutter der Assad-Brüder entdeckten verblüffte syrische Fernsehzuschauer Rifaat an der Seite des Präsidenten am Rand des Grabes.

Offiziell wurde Rifaats Rückkehr nicht bestätigt, aber vor seinem Prunkbau im Diplomatenviertel Schaalan stehen seitdem Wachen, und abends brennt Licht. Für Damaszener Beobachter ein weiterer Hinweis dafür, daß die Assads Syrien nach einem möglichen Friedensschluß mit Israel als ideologiefreie Familiendiktatur weiterregieren wollen.

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