piwik no script img

Pyrotechnische Theater-Botschaften

■ Gestern um neun Uhr morgens: Premiere von „Aladin und die Wunderlampe“ im Ernst-Waldau-Theater / Publikum tobte

Das Premierenpublikum benahm sich merkwürdig: Es hopste auf dem Gestühl herum, kribbelte und krabbelte durcheinander, schrie sich über zehn Reihen hinweg Botschaften zu und skandierte „Anfangen“. Da trat Regisseur Rolf Wessels vor den Vorhang und sprach: „Die Busse aus der Lüneburger Heide sind noch nicht da.“ Ein Proteststurm aus Buh-Rufen war die Antwort.

Mit 500 Kindern um acht rum, aus Bremen, Diepholz, Achim und Fallingbostel, war das Waldau-Theater ausverkauft. Der Badeanstaltslärm legte sich schlagartig, als Aladin (kindgemäß, freundlich, ausdauernd: Bernd Poppe) die Bühne betrat: Pluderhose und Judojacke. „Ihr müßt mit mir auf eine große Reise gehen, wollt ihr das?“ — „Jaaaaa“.

Los ging's. Zauberer in Afrika (eitel, etwas steif: Horst Arenthold), mächtig, böse, im Schloß, von bläulichen Nebeln umwabert. Oooooh! Ein Zauberspiegel in TV-Format, den der Zauberer mittels blinkendem Zauberstab fernbedient. Ein magisches Feuer sprüht — Szenenapplaus. Weißer Dampf. Dann Bagdad. Der Bazar. Bunte Menschen im Wahnsinns-Fummel. Angetan mit üppigen Schnabelschuhen. Es treten auf eine Prinzessin in Samt und (Kunst- )Seide, eine Vermieterin (!), der ungeratene Aladin, ein quengeliger Wesir, ein tuntiger Sultan (schräg: Rolf Bahr). Da! Die Höhle, in der die Wunderlampe liegt, eine fluoreszierende Kristallgrotte. Booooh! Und der Höhepunkt: Auftritt des Geistes.

Die Kids von heute sind, wem sage ich das, verwöhnt. Sie kennen die großartigsten Showeffekte aus der Glotze, und will Theater da mithalten, muß es klotzen. Der Geist, wenn die Lampe gerieben wurde, taucht unter ohrenbetäubendem Lärm aus der Tiefe auf, sieht aus wie ein E.T.-Verwandter, ist aber riesengroß, hat rote Glühaugen und verschwindet regelmäßig mit Blitz und gewaltigem Donnerschlag. Ein Super-Abgang mit den Mitteln der Pyrotechnik.

Die Kinder sind beeindruckt. So beeindruckt, daß größere Gruppen beim siebten Auftrittsspektakel des Geistes voller Angst „Nein, nein! „ schreien. Für Kleine wird da zu reichlich auf die Pauke gehauen. Immerhin schafft Wessels es mit Bravour, das halbe Tausend quicklebendiger Gören bei der Stange zu halten. Und selbst erwachsenen Zuschauern stockt der Atem, wenn der lebensgroße weiße Elefant ins Rampenlicht geschoben wird.

Auch einen Mohren gibt's im diesjährigen Weihnachtsmärchen - der wird vom Diener zum Freund, und die weiße Hand ergreift die schwarze, was gut gemeint ist. Und dann das liebe Geld! Nette Menschen mutieren zu speichelleckenden Monstern, sobald der Mammon lockt. Aladin: „Die Welt ist falsch — die einen haben alles, die anderen nichts.“ Doch, dieser Aladin gibt auch didaktisch was her.

Zu Schluß kriegen sie sich, Aladin und die Prinzessin. Bühnenkuß. Die Kinder packen ihre Jacken. Leider tritt der böse Zauberer nochmal auf — oooooh! Und nochmal der Knallgeist. Bis der Zauberer auf eine Insel verbannt wird: als Schafzüchter! Bis zuletzt bleibt das Publikum unkonventionell: Statt Beifall zu klatschen, skandieren die Kinder des Konsums nur begeistert „Zugabe!!!“ Bus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen