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Eine Bilder-Gegenmacht für Gaza

■ In den besetzten Gebieten wird eine palästinensische Fernsehstation geplant/ Ausbildungsprojekt für Video-Teams

Die besetzten Gebiete gehören zu den meistgefilmten Krisenregionen der Welt. Bei jedem sich bietenden Anlaß ziehen Israelis, Amerikaner, Engländer, Deutsche und Holländer mit ihren Kamerateams in der Westbank und im Gazastreifen herum. Die Palästinenser werden gefilmt, aber sie haben wenig Einfluß auf das über sie verbreitete Bild; über eigene Massenmedien verfügen sie bislang nicht. Erst jetzt, seit die Verhandlungen über eine beschränkte palästinensische Selbstverwaltung unter fortdauernder israelischer Besatzung geführt werden, gibt es Initiativen für den Aufbau eines eigenen palästinensischen Senders und eigener Fernsehstudios.

In diesem Zusammenhang steht ein jüngst begonnenes Ausbildungsprojekt in Ostjerusalem. Es wird vom Filmproduzenten Robert Krieg aus Münster/Westfalen geleitet und von der Grünen-nahen Stiftung „Buntstift“ gefördert. Palästinensischer Projektpartner ist die Ostjerusalemer „Vereinigung arabischer Journalisten“ (AJA), in der die über 200 palästinensischen JournalistInnen in den besetzten Gebieten organisiert sind. Der Trainingskurs für Video/ TV-Journalisten ist das bislang einzige Projekt, in dem palästinesische Fachkräfte für Film und TV ausgebildet werden.

Die AJA hatte für den Kurs, dessen erster Teil jüngst zu Ende ging, eine Liste möglicher Kandidaten zusammengestellt. Robert Krieg und ein Team deutscher Mitarbeiter wählten zehn TeilnehmerInnen aus: fünf Frauen und fünf Männer. Die in Ostjerusalem erscheinende palästinensische Tageszeitung Al Fajr stellte dem Projekt Räume zur Verfügung. Die Idee stammt von Projektleiter Krieger, basiert aber auf älteren Vorschlägen, die von den Palästinensern schon seit 1989 diskutiert werden. Bereits bei früheren Arbeitsbesuchen in den besetzten Gebieten hatte der deutsche Filmproduzent feststellen können, daß es in den besetzten Gebieten wachsenden Bedarf an palästinensischen FilmemacherInnen gibt, aber keine lokalen Ausbildungsmöglichkeiten.

Die Projektgruppe muß dem Umstand Rechnung tragen, daß es bisher kein eigenes palästinensisches audiovisuelles Massenmedium gibt. Die Palästinenser „konsumieren“ notgedrungen israelisches oder jordanisches Fernsehen. Diesem Notstand suchen viele junge PalästinenserInnen schon seit langem abzuhelfen, indem sie bei Demonstrationen und Einsätzen der israelischen Armee Videoaufzeichnungen machen. Die Bänder kursieren dann in den besetzten Gebieten und werden in Wohnzimmern und Hotelhallen vorgeführt.

Neben diesen „Amateur“-Filmern gibt es mittlerweile aber auch eine Reihe professioneller palästinensisch-arabischer Filmemacher in den besetzten Gebieten. Im Spätsommer fand erstmalig eine palästinensische Filmwoche in den Städten der Westbank statt, organisiert vom neuen Ostjerusalemer Filminstitut. Im großen und ganzen haben die palästinensischen Bewohner der besetzten Gebiete jedoch keine Möglichkeiten, ihre spezifischen kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Anliegen und Aussagen frei in die Medien zu bringen. Aus politischen Gründen haben sie außerdem kaum Einfluß auf die Berichterstattung der internationalen Medien. Fast in jedem Fall entscheiden „Nicht-Palästinenser“ über Berichte, die die internationalen Massenmedien zum Thema Palästinenser/besetzte Gebiete bringen — oder weglassen.

Daran ändert auch die große Zahl palästinensischer Fotojournalisten nichts, die freiberuflich für „fremde“ Medien tätig sind und ihr Material aus den besetzten Gebieten an Korrespondenten und Nachrichtenagenturen verkaufen. Denn sie sind stilistisch und inhaltlich an die Interessen und spezifischen Wünsche ihrer ausländischen Auftraggeber gebunden. Sie liefern aus den Gebieten, in die das Militär den in Israel akkreditierten Korrespondenten den Zugang verweigert. „Sperrgebiete“ erklärt die Armee mit großer Routine dort, wo es „Action“ gibt, die nicht von fremden Augenzeugen und Medien dokumentiert werden soll, sondern ausschließlich der „Berichterstattung“ durch Israels offizielle Sprecher und Fotografen vorbehalten bleiben soll. Und schließlich gibt es da noch die strenge israelische Militärzensur, die die Freiheit aller Fotoreporter und Kameraleute weitgehend einschränkt — weit über die Grenzen dessen hinaus, was „Sicherheitsfragen“ direkt oder indirekt betrifft.

Nach Ansicht des bekannten Ostjerusalemer Journalisten Daoud Kuttab, der sich jetzt mit dem TV-Projekt befaßt, sollten möglichst rasch „Dutzende von Produktionsgesellschaften entstehen, mit wenigstens 100 palästinensischen Technikern“. Seiner Meinung nach gibt es in den besetzten Gebieten derzeit nicht mehr als 20 professionelle Produzenten, Kameraleute, Videoredakteure und Beleuchtungstechniker.

Robert Krieg und seine Mitarbeiter bieten den Palästinensern auch weitere Zusammenarbeit bei der Fachfortbildung für Fernsehjournalisten an, denn einstweilen sind keine entsprechenden Lehrinstitute vor Ort vorhanden. Als Dozent der internationalen Film- und Fernsehschule San Antonio de los Banos, auch „Schule der drei Welten“ genannt, verfügt Krieg über die nötige Erfahrung: In Afrika hat er „den gleichen Lehrgang auch für die Sahraouis in den Flüchtlingslagern bei Tindouf geplant. Dieser Kurs könnte auch in anderen Ländern stattfinden, in denen demokratische Institutionen für die Ausbildung von Fernsehjournalisten fehlen“, erklärt Robert Krieg im Gespräch, „und wenn man in verschiedenen Ländern Ausbildung macht, sollte man regelmäßig Konferenzen abhalten, auf denen Erfahrungen ausgetauscht werden, um auf diese Weise 'Süd-Süd-Korrespondenz‘ zu ermöglichen.“

Der 43jährige Robert Krieg aus Bad Ems hat Soziologie, Psychologie und Publizistik in Münster studiert und ist seit sieben Jahren filmjournalistisch tätig. Einer seiner ersten Filme handelte von palästinensischen Flüchtlingen aus dem Libanon, die illegal in Berlin leben. 1987 drehte Krieg einen Bericht über algerische Flüchtlingslager. Später produzierte er zwei Filme in der Dominikanischen Republik. 1989 folgte ein Film über die palästinensische Intifada. In einem seiner jüngsten Filme, „Besetzter Traum“, geht es um die Frage, wie Leute aus dem kirchlichen Bereich mit den neuen Umständen in der Ex-DDR umgehen. Noch vor Ende dieses Jahres soll ein Kuba-Film Premiere haben. Seit 1990 ist Krieg auch als Dozent für Dokumentarfilm an der internationalen Fernseh- und Filmschule in Havanna tätig.

Robert Krieg, der das Talent seiner SchülerInnen und die harmonische Teamarbeit des Kollektivs lobt, macht seine jetzige Aufgabe viel Spaß. „Bei der Trainingsproduktion von kurzen Nachrichtenfilmen mußten von den Kursteilnehmern alle Arbeitsphasen durchlaufen werden.“ Thema eines der Filme sei die Frage der jüdisch-arabischen Koexistenz gewesen. Porträtiert würden eine jüdische Siedlerfamilie und Palästinenser, die ein Haus in der Altstadt von Ostjerusalem bewohnen. Ein zweiter Film bringe Interviews mit Passanten zum Autonomieprojekt für die Bewohner der besetzten Gebiete.

Robert Krieg hofft gemeinsam mit seinen SchülerInnen, „daß sie zu den ersten Produktionsteams des zukünftigen palästinensischen Fernsehens gehören werden“. Amos Wollin, Tel Aviv

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