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Das Duell der Regisseursgattinnen

■ „Antiphon“ von Djuna Barnes am Schauspiel Frankfurt

„Antiphon“ heißt Gegengeräusch. Wenn Geliebte sich küssen und die Geräusche des Küssens nicht mehr voneinander zu trennen sind, wenn der verblüfft Geküßte sich also fragt: wer schmatzt da, ich oder du? Wessen Zunge schlabbert, meine oder deine?, so wäre denn jede Trennung zwischen Liebenden, den Aneinandergepfropften aufgehoben. Die 1982 vestorbene Literatin Djuna Barnes ließ ihre Figuren oralisch miteinander verspeicheln, unauflöslich mit Worten verkleben. Ineinandergefügt im Inzest, in unauflösbarer Familien-Bindung spricht die Mutter aus der Tochter, die Tochter aus der Mutter. Dem Drama müßte der Unterschied zwischen den beiden erst anoperiert, die siamesischen Sprachzwillinge auf der Bühne mit dem Skalpell erst getrennt werden. Doch ist aus dem in Frankfurt vorgestellten psychologischen Psychiatern an den beiden ein phantasieloses, stumpfes, unerotisches Herumdoktern geworden. Nichts trennt, nichts saugt den Blick an, es kratzt nicht in den Gehörgängen. Der Text blubbert, statt zu küssen.

Djuna Barnes' „Antiphon“ entstand unmittelbar nach dem Tod ihrer Mutter 1945. Damit war für die amerikanische Dramatikerin mit Wahlheimat Paris (Gertrude Stein „antiphonierend“, die sie haßte, die mit ihr die Zuneigung zu Joyce teilte) der Weg frei: die Vereinigung der Tochter mit der Mutter, der schräge Blick auf sich und auf ihre Frau Mama war posthum nun ohne Rücksicht auf alle grausame Intimität möglich geworden.

1958 wuchs aus dem persönlichen Mutter-Tochter-Konflikt ein Drama. 1961 wurde es in Stockholm uraufgeführt. In Frankfurt warten wir auf das Dramatische, auf die Phantasie, auf den Regisseur, der eindringt in das „Antiphon“-Stück, wieder auftaucht, etwas Luzides, etwas Begeisterndes, etwas Schräges hinausschickt über den Bühnenrand ins hohe Parkett. Und warten. Sehen zu, wie Eschberg den Text buchstabengläubig in ein „stimmiges“ Bühnenbild verwandelt, statt ihn den Figuren zu geben.

Man kann dem Frankfurter Schauspiel unter der Regie von Peter Eschberg kaum absprechen, einen ungeheuren Ehrgeiz zu besitzen, von Zadek bis Hertie alles zu mobilisieren, was die Schaulust befriedigt; und eben auch Djuna Barnes auf die Bühne zu stellen — polymorph verwebtes Sprachspiel, ein Schachspiel aus Worten, ein Präzisionsinstrument des Vieldeutigen. Eschberg legt dies in einem piekfeinen Trödelladen an, vergänglicht die hundert Anspielungen, statt sie zu vergegenwärtigen: von Bismarcks Lotsen, der von Bord geht, bis zu einem Segelbootmodell, dessen Segel zerschossen sind, damit es bedeute, daß ein heftiger Wind durch die aufgestellte Tragödie gepfiffen haben muß. Vorher. Nun aber ist der Sturm vorbei. „Hier ist ein Riß durch die Natur“, so hebt es rekapitulierend an. Und „Vorhang, Onkel“, so hört es auf, dann senkt sich der Vorhang: unbeschädigt, ungebeutelt und undurchlöchert.

Harpyien in den Sitzlehnen surrealer Stühle, doppelköpfige Greifvögel als kunstvolle Schnitzereien aus der Werkstatt des Schauspiels symbolisieren, was hätte geschehen sollen. Eine grausame, präzis geführte Contre-Attaque jede gegen jede. Die Konstellation gleicht einem Konversationsstück. Der verlorene Sohn kehrt in Begleitung seiner Schwester unerkannt heim. Die Brüder zerren am Erbe und sind aus Raffsucht geschnitzt. Die Mutter nimmt das Duell gegen die Tochter auf. Und der Onkel, Verwalter des Anwesens, spielt wie ein Pastor den irreparablen Familiensegen. So einfach. So kompliziert aber folgt die Barnes den Verschlingungen der Seele, daß Eschberg an die Hälfte der Figuren nur die Fassade von Chargenspielern anbaut: Die Brüder, Klaus Bauer und Christoph Hohmann, eigentliche Squenzs und Pucks aus dem Sommernachtstraum, durchtriebene Böcke, werden zu lächerlichen Langweilern am Rande. Günther Lampes hehre Souveränität ringt sich ohne Unterlaß ein genüßliches Lächeln immmer dort ab, wo wir es wiederum nur vergebens suchen. Allein Wolfram Koch als Bruder Sorglos spielt den Dandy mit rohem Zunder, sitzt wie ein Truthahn auf dem Hausaltar und gurrt den coolen, zigarettenqualmenden, bißhaften Existentialismus in sämtlichen Nuancen herunter.

Das Restdrama trödelt so hinkend wie die Trissenaar auf den dritten Akt zu, auf die Verschmelzung der Mutter mit der Tochter. Die Mutter spielt die Frau von Eschberg: Carmen-Renate Köper. Die Tochter spielt die Frau von Neuenfels: Elisabeth Trissenaar. Was sich zankte, waren Regisseursgattinnen. Die Konflikte der beiden blieben Wörter. Das Spiel ein eiferndes Duell vor den Gatten im Parkett und Off. Welche der beiden spielt besser? Wer spielt wen an die Wand? Wer läßt welche auf der Bühne verhungern? Steht es gerade 1:0 für die Trissenaar oder für die Köper? Bis zur Halbzeit hatte die Köper ihren Heimvorteil eindeutig herausgespielt. Trissenaar mit fünf Punkten Rückstand spielte defensiv in der Rolle der Halbstummen, hinkte ihre Rolle mit tänzerischer Leichtigkeit, brillierte allenfalls durch ein beleidigtes Gesicht. Die Köper dagegen zeigte sich souverän in einem der Harpyien-Sessel, beflügelt, die Krallen zeigend, stimmgewaltig.

In der zweiten Halbzeit erst änderte sich der Tanz. Die Köper machte ihren ersten entscheidenden Satzfehler, begann nicht greifenhaft, sondern taubengurrend über die Bühne zu flattern, verlor entscheidende Sympathiepunkte und wurde zusätzlich von der Trissenaar empfindlich am Freiflattern gehindert. Trissenaar holte merklich auf, ließ die Köper ein-, zwei-, dreimal tüchtig verhungern, spielte die scheinbar Interessierte mit dem Habitus einer Aktrice, die mit der Inszenierung nicht einverstanden ist. Holte so durch Überlegenheit auf und gewann. Arnd Wesemann

Weitere Vorstellungen mit gleichem Endstand am 15., 26. und 27. November

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