■ bonn apart: Käufliche Ossis, frustrierte Wessis
Bonn (taz) – Kein Zweifel, die Ossis bringen alles durcheinander. Galten sie in der Bonner Politik bis vor kurzem vorrangig als finanzielles Problem, beginnt sich dies jetzt zu ändern. In der FDP und der SPD sorgen sie durch ihre unbekümmerte Bereitschaft zu Grundgesetzänderungen für einen Rechtsrutsch, in der CDU lassen sie bei Präsidiumswahlen Volker Rühe, den Kanzlerjäger 92, einfach abstürzen. Nicht einmal der Bundesrat bleibt vom neuen Chaos verschont. Dabei hatte das Ländergremium zunächst alles versucht, um sich vor störenden Ostelementen zu wappnen: Noch kurz vor der Vereinigung schrieb der Bundesrat bekanntlich seine Zusammensetzung so fest, daß den Westländern auch nach dem Beitritt der Ostländer eine Zweidrittelmehrheit blieb.
Es hat nichts geholfen. Die deutsche Einheit verkompliziert nun auch das Leben in der Länderkammer. „Der Frust ist allgemein“, klagt der grüne Bundesratsminister von Niedersachsen, Jürgen Trittin. Er meint damit den Umstand, daß es der Bundesregierung in jüngster Zeit immer wieder gelingt, ihre Gesetze an der SPD-Mehrheit im Bundesrat vorbei doch noch durchzupauken. Spektakulärstes Beispiel, die Mehrwertsteuererhöhung, die der Bund durchdrücken konnte, weil er mit finanziellen Zusagen auch das SPD-Land Brandenburg und die große Koalition in Berlin zur Zustimmung motivierte. Der Trick der CDU, so Trittin: „Sie kaufen die O-Länder und hauen den SPD-Ländern eins vor den Latz.“
Dahin sind die Zeiten der „Bipolarität“ (Trittin), in denen eine Oppositionsmehrheit im Bundesrat der Regierungsmehrheit im Bundestag gegenüberstand. Weil die O-Länder finanziell vom Bund abhängig sind, komme diese Verschiebung letztlich der Bundesregierung zugute. Der Vermittlungsausschuß, in dem laut Verfassung zwischen Bundesrat und Bundestag die Kompromisse ausgekungelt werden müssen, hat nach seiner Erfahrung kaum noch eine Funktion: Trete der Ausschuß zusammen, hätten sich Bund und O-Länder oft schon vorab geeinigt – in inoffiziellen Kungelrunden.
Der grüne Minister fürchtet, daß der Trick auch beim neuen Arbeitsförderungsgesetz (AFG) greifen könnte. Bisher wird die AFG-Novelle sowohl von den SPD-Ländern wie von den Ostländern abgelehnt: Kürzungen bei ABM-Stellen treffen alle Länder. Der Bundesrat rief deshalb den Vermittlungsausschuß an. Doch die erste Kungelrunde, das macht Trittin mißtrauisch, traf sich schon am Montag. Kanzleramtsminister Bohl versuchte, Vertreter der Ostländer zu einer Zustimmung zur AFG-Novelle zu überreden. Das fruchtete erst mal nicht. Die thüringische Bundesratsministerin Lieberknecht (CDU) kann sich aber schon vorstellen, wie ihr Ja-Wort zu bekommen wäre: Sie will mehr ABM-Stellen. So einfach rauszukaufen seien die Ostländer dieses Mal dennoch nicht, glaubt Lieberknechts Berliner Kollege Peter Radunski. Wegen der neuerdings auch im Westen wachsenden Arbeitslosenzahlen bräuchten alle Länder mehr Geld für die Arbeitsmarktpolitik.
Daß wechselnde Allianzen im Prinzip möglich sind, das empfinden die Ostdeutschen logischerweise als Hilfe. Ausbooten kann sie keiner mehr. Wechselnde Allianzen seien doch „wohltuend“, meint Christine Lieberknecht, nicht nur für die Kasse, sondern „für die Demokratie“. Hans-Martin Tillack
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen