Zweite Halbzeit mit Verve

■ Roger Norrington und die Philharmonie in der Musikhalle

und die Philharmonie in der Musikhalle

Roger Norrington, Gastdirigent des philharmonischen Staatsorchesters am Sonntag und Montag, hat im abgelaufenen Jahrzehnt mit seinen London Classical Players entscheidend mitgeholfen, gerade für Aufführungen des Wiener klassischen Repertoirs eine zeitgemäße Stilkonvention zu entwickeln. Man war drum gespannt, wie er mit einem „normalen“ Orchester — nicht dem renommiertesten dazu — umgehen würde.

Der Mann gibt sich vergleichsweise zurückhaltend, glanzlos, er ist gerade und mager von Gestalt. Bart, Haarkranz um Kahlschädel und Altersbäuchlein lassen auf Leidenschaftlichkeit eines englischen Landpfarres schließen. Die ist nicht zu unterschätzen. Es nützt die größte Leidenschaft indessen nichts, wenn das Orchester gleich mit gräßlichem Mißgriff im Hörnereinsatz der Ouvertüre zu Beethovens Die Weihe des Hauses op. 124 beginnt und auch im Folgenden alle Wendungen, Steigerungen, Ausbrüche, mit denen der Komponist sein Werk hat interessant machen wollen, mit Gleichmut absolviert.

Das wurde in der Zweiten Sinfonie op. 36, die unter anderem für ihre etwas zu unkonventionelle Aufgeräumtheit von den Zeitgenossen mit Mißtrauen belauscht wurde, nicht besser. Norrington versuchte mit immer emphatischeren Bewegungen dem Klangkörper beethovengemäße Dynamik zu verpassen — es wollte erst im vierten Satz werden, da lief es haydnmäßig witzig und aufgeweckt: Norrington-like.

Als ob der Trainer in der Kabine ein Machtwort gesprochen hätte, zeigten die Philharmoniker nach der Pause, was in ihnen steckt. Dabei ist Sibelius Erste Sinfonie op. 39 wahrlich nicht leicht abzustimmen. Trotz der enormen Besetzung spielte das Orchester dynamisch abgestuft, akzentuiert und mit etwas, das so gern „Verve“ genannt wird. So viel Begeisterung hätte auch schon Beethoven verdient gehabt. Stefan Siegert