: Abstinenz und Emanzipation
■ Die Sinnkrise des ehrwürdigen Bremer "Deutschen Frauenbundes für alkoholfreie Kultur"
Abstinenz und Emanzipation
Die Sinnkrise des ehrwürdigen Bremer „Deutschen Frauenbundes fur alkoholfreie Kultur“
Manchmal sieht man sie auf Wohltätigkeitsveranstaltungen und Basaren, die gutbürgerlichen Frauen mittleren Alters, die an ihrem Stand schönfarbige Getränke aus bauchigen Gefäßen ausschenken. „Heißmacher“, zum Beispiel, oder „Europa-Fizz“, „High Noon“, „Top Sekret“ oder „Golden Ginger“, alles Drinks der feinsten Sorte und — ohne einen Tropfen Alkohol. Sie schmecken wunderbar, und doch hören die Anbieterinnen oft den Spruch: „Nee danke, hab ich nicht nötig.“
Es ist der „Deutsche Frauenbund für alkoholfreie Kultur“, der solcherart seine ehrenamtliche und unaggressive Tätigkeit ausübt. Auch phantasievoll illustrierte Heftchen mit Getränkerezepten gibt der Frauenbund heraus, und hin und wieder finden Seminare und Vorträge statt zu Themen rund um ein Leben ohne Alkohol. Hundert Mitglieder gibt es im Raum Bremen/Bremerhaven. Brigitte Schulze ist eine von ihnen und seit 1991 zweite Vorsitzende des Vereins. Sie führt die Geschäfte, denn die erste Vorsitzende ist schon achtzig Jahre alt. „Ja“, sagt Brigitte Schulze, „unser großes Problem ist, daß wir nicht mehr genug Mitglieder finden. Wir sind in einer Sinnkrise. Eigentlich brauchten wir wieder eine große 'Führerin'“.
Die hatte der „Frauenbund für alkoholfreie Kultur“ einst in seiner charismatischen Gründerin, der Bremer Kaufmannstochter Ottilie Hoffmann (1825-1935), aber das war zu einer Zeit, als der Kampf der Frauen gegen den „Teufel Alkohol“ zugleich ein Kampf für emanzipatorische Rechte war. Ottilie Hoffmann, die als Hauslehrerin in England ihren eigenen Lebensunterhalt verdiente hatte und in Kontakt mit der dortigen Frauenrechtsbewegung gekommen war, hatte schon 1867 den „Bremer Frauenerwerbs- und Ausbildungsverein“ gegründet, mit dem Ziel, kaufmännische Arbeitsmöglichkeiten für junge Frauen zu schaffen. Mit ihrer Arbeit im Bremer Mäßigkeitsverein und schließlich 1900 der Gründung des Frauenbundes ging es ihr um eine alkoholfreie Alltagskultur vor allem für Arbeiterfrauen, die den verbreiteten Alkoholmißbrauch ihrer Männer auszubaden hatten. Sie organisierte Volksunterhaltungsabende und hielt Vorträge, die allgemein begeistert haben sollen. Und sie richtete gemütliche, saubere, blumengeschmückte, billige und natürlich alkoholfreie Speisehäuser, die „Ottilie-Hoffmann-Häuser“ ein, die die finsteren Wirtshäuser ersetzen sollten.
„Zu Ottiliens Zeiten“, wie Brigitte Schulze gerne sagt, gab es in Bremen dreizehn solcher Speise- und Milchhäuser, von denen das letzte im heutigen Cafe Ambiente allerdings vor einigen Jahren für immer geschlossen wurde. Auch hatte der Frauenbund 1912 knapp fünfzig Ortsgruppen in 180 deutschen Städten, mit insgesamt 28 Tausend Mitgliedern. Jetzt sind es bundesweit nur noch 360. „Heute kann man in jedem Supermarkt und in jeder Gaststätte die verschiedensten Säfte bekommen“, so Brigitte Schulze zur etwas verlegenen Erklärung, „damals aber war die gärungslose Dampfentsaftung eine ganz neue Methode. Außerdem herrschte überall Weinzwang, in den Wirtschaften für Arbeiter wurde ja überhaupt nur Alkohol angeboten.“
Nicht zuletzt aber ist für die „Sinnkrise“ des Frauenbundes die doch immerhin einigermaßen gelungene Frauenemanzipation verantwortlich, die macht, daß Frauen nicht mehr die abgeordneten mütterlichen Aufpasser für ihre schnapstrinkenden Männer sind. Sie trinken eher schon selber, und so ist der Name des „Deutschen Frauenbundes für alkoholfreie Kultur“ vielleicht erstmalig höchst angebracht und anachronistisch zugleich. Cornelia Kurth
Rezepte und Infos beim Dt. Frauenbund für alkoholfreie Kultur, Herderstr. 74, 28 HB 1, Tel. 73333
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