: Geschichten aus der Diktatur
■ Rachid Mimounis Band „Hinter einem Schleier aus Jasmin“
Der poetische Titel des Buches läßt im ersten Augenblick an zauberhaft-verklärende Geschichten aus dem Orient denken – vielleicht eine verkaufsstrategische Maßnahme des Verlages, der mit nordafrikanischen Autoren außer Ehre nichts verdienen kann.
In Rachid Mimounis Erzählungsband trifft der Leser jedoch nicht auf Prinzessinnen oder Kalifen. Der algerische Schriftsteller beschreibt vielmehr den Alltag der Menschen in Algerien unter der fast dreißig Jahre dauernden Herrschaft der sozialistischen „Front de la liberation“ (FNL), den Überlebenskampf des Individuums in einer Gesellschaft, die von Mißwirtschaft, Korruption und staatlicher Willkür geprägt ist. Dies ist zugleich das Generalthema in Mimounis Gesamtwerk, das fünf Romane und einen Erzählungsband umfaßt und für das er 1992 mit dem Albert Camus-Preis ausgezeichnet wurde. Die Texte von Rachid Mimouni teilen die Welt nicht in Gut und Böse, nicht in Verräter und Verratene. Der 47jährige Hochschullehrer schildert seine Figuren – die letztlich alle scheitern – inmitten der Verstrickungen und Hindernisse des Alltagslebens. In einer Art stummer Revolte gegen den allgegenwärtigen Staat halten sie sich fern vom politischen Tagesgeschehen, ziehen sich auf Privates zurück: dem Parkwächter wird das ihm anvertraute Areal mit der Statue der Aphrodite zum Lebensinhalt. Ein Bahnhofsvorsteher versieht seinen Dienst an einer abgelegenen Strecke mit einer Akribie, als leite er die Verkehrszentrale des afrikanischen Kontinents. Und für den Bademeister von El Karma ist sein Strand ein geheiligter Boden, den es angemessen zu verwalten gilt.
Rachid Mimouni kommt ganz ohne moralischen Zeigefinger aus. Das Menschliche seiner Figuren verliert er nie aus den Augen, und doch ist alles ironisch pointiert. Selbst die beiden Erzählungen „Der Demonstrant“ und „Der Entflohene“, die man als Parabeln auf die Perfidie und Absurdität eines Staates lesen kann, dem Macht zum Selbstzweck geworden ist, entbehren nicht der komischen Übertreibung. Bestimmen Renitenz, Verrücktheit oder bewußte Provokation das Handeln der Figuren? Polizei und Geheimdienst sind ratlos angesichts des Demonstranten, der auf einem Plakat seine Unterstützung für den Präsidenten bekräftigt. Er wird verhaftet und mit einer für diktatorische Systeme typischen Anklage konfrontiert, nämlich „die innere und äußere Sicherheit des Staates bedroht, das Staatsoberhaupt beleidigt und die öffentliche Ordnung gestört zu haben“. „Der Entflohene“ dagegen, der so lange eingesperrt war, „daß er das Gesicht seiner Mutter vergessen und seine Kindheitserinnerungen verloren hatte“, versucht die unzufriedenen Massen aufzuwiegeln. Er wird kurzerhand erschossen. Das Volk wendet sich schweigend ab und zieht sich zurück in Anonymität und Passivität.
Ein wenig aus dem beschriebenen Rahmen fallen in dem Band zwei Geschichten – „Der Computer und ich“ und „Die Seidenraupen“. Sie beschreiben die beginnende Modernisierung in Algerien und kommen ohne vehemente Kritik am autoritären Staat aus. Vermutlich stammen sie aus den Jahren 1988/89, als in Algerien ein Prozeß der Liberalisierung einsetzte. Rachid Mimouni, der bis 1988 hauptsächlich in Frankreich publizierte, geht in seinem jüngsten Erzählungsband mit dem Erbe einer Diktatur anders um, als es momentan in Deutschland üblich ist: er wahrt einen politisch klaren Standpunkt und beweist doch Verständnis für die Verstrickungen des einzelnen im autoritären Staat. Alfred Hackensberger
Rachid Mimouni: „Hinter einem Schleier aus Jasmin“ (Erzählungen). Aus dem Französischen von Holger Fock; Rotbuch-Verlag, Berlin 1992, 175 Seiten, 28 DM
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