: Angeschlossen ans Buschtelefon
■ Marianne Bernas Führer durch das schwarze Paris
Der Ausflug eines „normalen“ Touristen im Norden der „Stadt des Lichts“ endet oberhalb der Pigalle, vielleicht auf der Treppe vor Sacre-Coer oder auf dem Friedhof von Montmartre. Auf der hinteren Seite des Hügels aber liegt das 18. Arrondissement, ein Teil von Paris, das in den Reiseführern nicht unbedingt zu den Sehenswürdigkeiten gehört. Dort hat ein großer Teil der afrikanischen Einwanderer eine neue Heimat gefunden. „Araber“, das heißt dunkelhäutige Einwohner Nordafrikas und schwarze Afrikaner, die vor allem aus ehemaligen französischen Kolonien südlich der Sahara stammen, haben eine Infrastruktur aufgebaut, die sich an den Eckfeilern mitgebrachter Traditionen orientiert.
Das 18. Arrondissement ist bloß einer von vielen Randbezirken der Zehn-Millionen-Metropole, in der insgesamt eine Million Afrikaner wohnen. In einer Gesellschaft, die verwaltungstechnisch in zwei Kategorien geteilt ist – solche, die einen französischen Paß besitzen, und solche, die sich einen wünschen –, ist eine neue Kultur entstanden, die sich „zwischen afrikanischen Bräuchen und westlichem Business“ bewegt.
„Wer sich für das Kulturleben der Schwarzen in Paris interessiert, tut gut daran, sich ans Buschtelefon anzuschließen“, schreibt die Schweizer Journalistin Marianne Berna in ihrem Buch „Paris wie die Wilden“. Das Buschtelefon bedeutet Kommunikation. Kommunikation, die sich auf der Straße, in den Bars und den kleinen Läden vollzieht, wo selbstkopierte Plakate die Auftritte der unzähligen Combos ankündigen. Es gibt aber auch zwei „schwarze“ Radiostationen in Paris, die ein eigenes Programm anbieten. Bei Tropic FM und Radio Tabala „sitzt nur selten ein einziger Mensch am Mikrofon. Da hört man die Tür, da sind ständig Gäste und Partner zugegen, da rufen die Hörer unaufgefordert in jeder Sendung an und geben ihren Senf dazu; da setzt es Debatten, daß die Fetzen fliegen, und manchmal weiß man gar nicht mehr, wo der Moderator bleibt.“
Anlaß für Bernas Reportage war die Tropen-Musikwelle, die im Jahre 1986 von Paris aus ganz Europa erfaßte. Ein Weißer muß immer der erste sein, weiß die Autorin, wenn der Durchbruch schwarzer Musik in größeren Märkten gelingen soll. So war es beim Jazz, beim Blues und Rock'n'Roll, so war es auch mit der tropischen Musik. In Frankreich hieß dieser Weiße Johnny Glegg, ein in Schottland geborener Südafrikaner. „Cleggs Musik war ,weiß‘ genug, um das französische Publikum nicht zu verschrecken, und klang doch noch etwas ,exotisch‘.“ Berna widmet sich dagegen den Musikern aus Afrika und erzählt, ohne ihre Sympathie verbergen zu wollen, wie sich die Mehrheit dieser Leute mehr schlecht als recht über Wasser hält. Wenn sie nach Europa kommen, stehen sie vor einer gut organisierten Musikbranche, in der sie Anpassungsprobleme haben. „Die meisten können nicht nachvollziehen, warum der Tour- Veranstalter einen Wutanfall kriegt, wenn sie zwei Stunden nach dem offiziellen Konzertbeginn ankommen.“
Derartiges hat denn auch dazu geführt, daß immer seltener professionelle Veranstalter afrikanische Gruppen unter Vertrag nehmen. Diejenigen, die es trotzdem machen, sind entweder „Musikverrückte, die keinen blassen Schimmer vom Geschäft haben, oder sie sind Profis, die die Musiker ausnutzen, um schnelles Geld zu verdienen“. Berna porträtiert diese Leute, macht kurze Ausflüge und Rückblicke in ihre Heimatländer. Das Hauptaugenmerk liegt aber auf der Situation der Musiker selbst.
Berna beobachtet, wie die Schwarzen von Paris in einer Zweizimmerwohnung mit der Großfamilie und den Freunden leben, die seit Monaten eine Wohnung suchen. „Wenn es für einen reicht, reicht es auch für zwei“, ist ihre Auffassung, und „weil sie nie allein zu Hause sind, sehen sie gemeinsam Fernsehen und kommentieren lautstark.“
Berna befaßt sich auch mit dem „Mythos Mann“ und der Stellung der Frau, die es mindestens doppelt so schwer in der neuen fremden Heimat hat. Immer wieder geht Berna auf den Umgang der Schwarzen untereinander ein: „Wenn man Freunde gewinnen will, muß man etwas Spektakuläres zu erzählen haben.“ Der Klatsch hat eine andere Funktion und Wirkung als in der abendländischen Gesellschaft. Das heißt nicht, daß jeder sofort in die Privatsphäre eingeweiht wird. „Wie geht's dem Prinzen“, wurde die Autorin in Kamerun über Bill Akwa Betote gefragt, der die Fotos für den vorliegenden Band geliefert hat. Berna, die seit vielen Jahren mit Betote zusammenarbeitet, wußte nicht, daß sein Vater „eines der mächtigen und beliebtesten Oberhäupter“ Kameruns war.
Im Anhang findet sich ein kleiner Führer durch das schwarze Paris, mit Adressen und Radiofrequenzen und einem Glossarium mit Erklärungen zu unterschiedlichen Namen und Begriffen. Ein kleines Lexikon mit Kurzberichten über die wichtigsten Personen der Tropischen Musik ist auch noch dabei, unter den porträtierten auch Jack Lang, der als fanzösischer Kulturminister in den achtziger Jahren „fremde“ Kulturen gefördert hat. Nikos Theodorakopulos
Marianne Berna/Bill Akwa Betote: „Paris wie die Wilden. Afrika – seine Musik – ihre Metropole“. Eco-Verlag, Zürich, 208 Seiten. 35DM
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