: Der Krieg liegt in der Luft
Friedenskonferenz des Helsinki-Forums mit TeilnehmerInnen aus allen Teilen Europas/ Die einzelnen nationalen Delegationen aus den Ländern Osteuropas blieben unter sich ■ Aus Ohrid Roland Hofwiler
Das Helsinki-Bürgerforum hatte am Wochenende zur Friedenskonferenz ins mazedonische Ohrid gerufen. Eingeladen und gekommen waren Friedens-, Bürgerrechts- und Umweltbewegungen aus allen Teilen Europas. So widersprüchlich der Ort des Geschehens, so kontrovers die Diskussionen: wie „Frieden schaffen – ohne Waffen“ im fernen Bosnien, in den Kriegsgebieten des ehemaligen Nord-Jugoslawiens?
Erst recht zeigten die TeilnehmerInnen sich hilflos, wie es zu verhindern sei, daß der Krieg nicht eines Tages unter anderem nicht auch das romantische Städtchen Ohrid erfaßt. Der Katalog der „friedensstiftenden Sofortmaßnahmen“, nach viertägiger Debatte als Schlußdokument verabschiedet, ließ sich zwar sehen. Offen blieb allerdings, wie er mit Nachdruck durchgesetzt werden kann.
Die Hauptforderungen an die internationale Staatengemeinschaft lauteten: Weit mehr Flüchtlinge als bisher aufzunehmen, radikale Kontrollen gegen das Waffenembargo und der heimischen Waffenproduktion durchzuführen, und wenn möglich ganz Bosnien, ansonsten die vom Krieg besonders heimgesuchten Städte unter ein UNO-Protektorat zu stellen. Darüber hinaus sollten die UNO- Zonen in Kroatien ausgeweitet und der UNO ein Mandat gewährt werden, in potentiellen Krisenherden wie dem muslimischen Sandjak, der ungarisch bewohnten Vojvodina und dem albanischen Kosovo-Gebiet jederzeit ähnliche Zonen einzurichten. Der Schönheitsfehler dabei: Die mazedonische Problematik wurde außer acht gelassen.
Präventive Maßnahmen
Obwohl im zweihundert Kilometer entfernten Skopje in der Nacht auf Samstag drei Albaner und eine Mazedonierin bei Unruhen von mazedonischen Sicherheitskräften erschossen worden waren, kam diese Meldung aus der Hauptstadt in Ohrid nur verstümmelt an. Den meisten KonferenzteilnehmerInnen wurde nicht klar, daß sich auch in Mazedonien die nationalen Spannungen zwischen Mazedoniern, Albanern, Bosniaken und Türken in den letzen Wochen gefährlich zugespitzt haben.
Denn die mazedonischen Gäste hatten vorgesorgt: in dem ehemaligen Freizeitzentrum der Kommunistischen Partei Jugoslawiens, weit außerhalb Ohrids einsam am See gelegen, war das gesamte Personal ausgetauscht worden. Vom Kellner bis zum Übersetzer waren sie alle Mazedonier. Als albanische Journalistenkollegen den Autor am Sonntag im Hotelkomplex besuchen wollten, wurden sie von einer Polizeistreife, die rund um die Uhr den Konferenzort mit schweren Kalaschnikows auf dem Rücken bewachten, nachdrücklich zurückgewiesen. Obwohl in der Gegend um Ohrid von Ort zu Ort die Einwohnerzahl der albanischen Minderheit zwischen zwanzig und achtzig Prozent schwankt, bekamen die europäischen FriedensaktivistInnen keinen Kontakt zu den Einheimischen, war kein Wegweiser, keine Inschrift zweisprachig.
Risto Poposki, ein angesehener Schriftsteller Mazedoniens und Friedensaktivist, brachte es vor aller Öffentlichkeit auf den Punkt: „Wenn wir den Albanern erlauben würden, daß auch ihre Sprache als Amtssprache parallel zum Mazedonischen verwendet werden dürfte, dann kämen diese Leute morgen und würden immer mehr fordern, zuletzt einen Anschluß an Albanien. Dann würden sie sogar den Krieg gegen uns Mazedonier riskieren.“ Poposki schaute überrascht um sich, als er daraufhin von den Gästen aus Westeuropa ausgebuht wurde. Er beharrte bei seiner These, die er im privaten Gespräch wiederholte: „Die Albaner sind ein kulturloses, niedrigeres Volk.“
Kein Einzelfall unter den „Friedensaktivisten“. Da die Konferenz in der einst südöstlichsten Stadt Jugoslawiens stattfand, waren Dutzende Serben, Kroaten, bosnische Muslimanen, Slowenen und Ungarn angereist. Aber nähergekommen waren sie sich nicht.
Es war für die Westeuropäer erschreckend, wie beispielsweise Kroaten und Serben auf Diskussionen keine gemeinsame Sprache fanden, Ungarn und Rumänen sich aus dem Weg gingen, nicht anders als die Ukrainer und Russen. Zu später Stunde bei Wein und Bier saßen die verschiedenen nationalen osteuropäischen Friedensdelegationen unter sich an kleinen Tischchen, verschlossen sich hinter ihrer Landessprache, während sich die Westeuropäer kreuz und quer auf englisch und französisch über Gott und die Welt unterhielten.
Der Krieg wird kommen
Die Vizepräsidentin des Helsinki- Bürgerforums, die Belgraderin Sonja Licht, eine kosmopolitische Aktivistin jüdischer Herkunft, konnte über all das nur sarkastisch schmunzeln: „Sag's nicht weiter, der Krieg kommt im nächsten Jahr nach Ohrid. Die Balkan-Völker schaffen es nicht, Frieden zu schließen. Und Europa schaut weg.“
Ihr Resümee auf der Abschlußsitzung der Konferenz: In kleinen Schritten und mit kleinen Hilfen zu lindern, um die Opfer zumindest nicht noch weiter ins Verderben zu stürzen. Und so schloß die Konferenz mit der Forderung nach einem zivilen Hilfskatalog, der unter anderem Patenschaften zwischen den vom Krieg heimgesuchten Orten und europäischen Städten vorsieht.
Verlangt wurde außerdem ein europaweites Fernsehprogramm in serbokroatischer Sprache, das in regelmäßigen Abständen für die „neuen Palästinenser Europas“ ausgestrahlt werden soll. Dazu sollen private Evakuierungsaktionen für Mütter und Kinder aus Sarajevo kommen.
Eine weitere Initiative zielte auf die Gründung einer multikulturellen und multinationalen Balkan- Universität in Bosnien, und schließlich gab es noch einem allgemeinen Aufruf, mit allen Mitteln dem neu erwachten Nationalismus und Chauvinismus die Stirn zu bieten.
Und wieder Sonja Licht: „Schreib es nieder: Der Dornröschenschlaf der Europäer wird den dritten Balkankrieg in diesem Jahrhundert auslösen.“
Voller Resignation fügte die ehemalige Dissidentin dann noch hinzu: „Wir Bürger können ihn nicht verhindern – nur die internationale Staatengemeinschaft kann jetzt noch mit militärischer Gewalt demonstrieren, wer der Herr in Europa ist, die Demokratie oder der Chauvinismus – wie schrecklich.“
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