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Guten Herzens vorbeigelesen

■ Joachim Walter las im Flüchtlingsheim in Bremen Nord: "Kein direkter Kontakt"

Guten Herzens vorbeigelesen

Joachim Walter las im Flüchtlingsheim in Bremen Nord: „Kein direkter Kontakt“

Man stelle sich vor: 16 AutorInnen und Autoren griffen am Montag abend in 16 Flüchtlingsheimen dieser Republik zur selben Stunde zu den Manuskripten und lasen gegen Fremdenhaß und Ausländerfeindlichkeit. 16 Männer und Frauen des Wortes demonstrierten zeitgleich in 16 Bundesländern: Wir sind auch noch da. In Bremen-Nord, im Asylbewerberheim an der Peenemünder Straße war es Joachim Walter aus Ost-Berlin, der alle diejenigen begrüßte, „für die Deutschland Fluchtort ist“. Natürlich, sagte der Mann der Sprache, könne sein Auftritt hier und heute nur ein symbolischer Akt sein: ein Protest der Sprach-ArbeiterInnen gegen diejenigen, die nur noch Gewalt und Brandsätze sprechen lassen.

Man stelle sich vor: Einer liest und keiner kann ihn verstehen. Diejenigen, für die die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft die Lesungen in den Flüchtlingsheimen organisiert hatte, hörten in der Peenemünder Straße höflich zu und verstanden wenig. Ein Übersetzer war nicht geladen. „Ich denke, jeder, der heute abend hier ist, ist auf der Seite der Ausländer“, sagte eine Libanesin: „Ich kann die guten Herzen sehen.“ Reicht das?

Man höre: Joachim Walter liest aus einem Hörspielmanuskript. Salman Rushdie hat er sein Hörspiel über den deutsch-jüdischen Philosophen Theodor Lessing gewidmet. 1933 setzten die Nazis auf den Philosophen ein Kopfgeld aus. Im tschechischen Marienbad wurde er noch im selben Jahr von zwei Heckenschützen ermordet. Joachim Walter ist ein Sprach- Chirurg: Einer, der das Gesprochene seziert und rekonstruiert und das, was es zum Ausdruck bringt, ans Licht holt. Einer, für den die deutsch-nationale Rhetorik und die germanische Mythologie Fundgruben sind. Einer, der deutsche Eichen auf Leichen reimt und der den Raben Hugin per Reigeanweisung mit Hugenbergs Stimme krächzen läßt.

Gleichgesinnte denken das Richtige

Bis vor kurzem hat Joachim Walter geglaubt, daß ein Volk aus seiner Geschichte lernen kann: „Ich meinte, wenn man solche Erfahrungen gemacht hat, ist man immun. Zur Zeit gibt es nur wenige Neofaschisten, aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob das nicht plötzlich eine Massenbasis werden kann. Wenn wir jetzt nicht aufpassen, kann es sehr schnell zu spät sein.“ Und wie einer seiner Zuhörer glaubte er bislang, die BürgerInnen der ehemaligen DDR seien „sensibel für die dumpfe Art des Denkens, die alles auf einen einzigen Punkt reduziert“.

Salman Rushdie, die Wiedervereinigung, der Fremdenhaß und die deutsche Geschichte: Ein gewaltiger Brocken, auf dem ZuhörerInnen und lesender Autor an diesem Abend herumkauten. „Eine schöne Idee, diese Lesung“, meinte ein irakischer Flüchtling hinterher, „aber ihr tretet nicht in direkten Kontakt mit Flüchtlingen, um zu sehen, wie sie sind.“

Das Häuflein der Aufrechten wurde für sein Kommen belohnt: Kaffee wurde gereicht, schwarze Oliven, Schafskäse und Brot. Auch Prominenz war erschienen. Sozialsentorin Irmgard Gaertner und die Ausländerbeauftragte Dagmar Lill saßen in der ersten Reihe und lauschten. Doch „diejenigen, mit denen wir reden müßten, sind nicht da“, stellt der Autor fest. Und er fürchtet, „die Glatzköpfe sind auf dieser Ebene überhaupt nicht ansprechbar.“

Es war eine Lesung, wie viele andere: Sobald der Autor aufgehört hatte, enstand ein großes Schweigen. Dann ergriff der Moderator das Wort. Eine Lesung, die sich zu wenig von anderen unterschieden hat, meinte der Autor hinterher. Wieder einmal haben sich Gleichgesinnte gegenseitig bestätigt, daß sie das Richtige denken. Diemut Roether

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