: Das Auto auf der Anklagebank
Initiative und Umweltinstitut mobilisieren für den juristischen Kampf gegen Lärm und Abgase/ Klagen könnten Straßenbau-Planungen kippen ■ Von Dirk Wildt
Berlin (taz) – Bürgerinitiativen und ein Umweltinstitut wollen im Kampf gegen den Autoverkehr eine wichtige Verbündete auf ihre Seite ziehen: Justitia. Der bundesweit organisierte „Arbeitskreis Verkehr und Umwelt“ und das Berliner „Unabhängige Institut für Umweltfragen e. V.“ (UfU) wollen Betroffene von Straßenlärm und Autoabgasen bei dem Gang vor das Gericht unterstützen. Insbesondere die Klagen gegen Krach schätzte der Rechtsanwalt Alexander Schmidt auf einer Veranstaltung in der vergangenen Woche in Berlin als aussichtsreich ein. Sollten die Gerichte im Sinne der Kläger urteilen, müßten die Verkehrsplaner umdenken – zumindest in den Innenstädten.
Nach einer Untersuchung der Berliner Umweltverwaltung herrscht an nahezu allen Hauptverkehrsstraßen in den Innenstadtbezirken eine Lautstärke, die auf dem Fußweg „eine akzeptable Sprachverständigung selbst bei lauter Sprechweise nicht mehr ermöglicht“. Tag und nacht würden die empfohlenen Grenzwerte in fast allen Straßenabschnitten überschritten, so Herribert Guggenthaler von der Umweltverwaltung.
Bei der Luftverschmutzung ist die Lage ähnlich dramatisch. In über 70 Prozent der Hauptverkehrsstraßen werde der „Alarmwert“ der Europäischen Gemeinschaft von 135 Mikrogramm Schwefeldioxid pro Kubikmeter Luft überschritten. In einem Fall, in einer Straße nahe dem Alexanderplatz, seien sogar mehr als 200 Mikrogramm gemessen worden, berichtete Guggenthaler.
Und die Untersuchung der Berliner Umweltverwaltung belegt: Hauptstraßen sind Lebensraum. Zwei Drittel der Flächen an den Hauptstraßen werde zum reinen Wohnen (40 Prozent) oder zum Wohnen, Einkaufen und Arbeiten (27 Prozent) genutzt.
Genau hierin sieht Rechtsanwalt Schmidt den Hebel für Klagen – denn für solche Straßenabschnitte gibt es Lärmgrenzwerte. Der großzügigste Wert stammt dabei, wen wundert's, vom Bundesverkehrsminister. Die schärfste Empfehlung haben dagegen Ingenieure in der Deutschen Inlandsnorm (DIN) 18005 ausgesprochen. In der Mitte liegen die Werte der rechtsgültigen Bundes-Immissionsschutzverordnung (BImsch). In Kassel haben Anwohner immerhin schon in einem Prozeß durchsetzen können, daß ihre Straße nachts für Lastwagenverkehr gesperrt wird.
Bei permanenter Überschreitung bestimmter Lärmschwellen müssen die Betroffenen mit Schlaf- und Herzrhythmusstörungen sowie Bluthochdruck rechnen, berichtete der Bremer Arzt Johannes Spatz. Der Zusammenhang zwischen Abgasen und Gesundheitsschäden ist hingegen nicht so gut untersucht. Aber auch hier würde sich die Lage für verkehrsmüde, klagewillige Zeitgenossen durch neueste Untersuchungen bald verbessern. Für besonders wertvoll hält Schmidt einen über das Düsseldorfer Umweltministerium erhältlichen Bericht vom „Länderausschuß Immissionsschutz“ (LAI). Darin werden deutliche Aussagen zum Zusammenhang von Abgasen und Krebsrisiko getroffen. Indirekt ist dem Papier zu entnehmen, daß der Tod von jährlich 4.000 Menschen auf Autoabgase zurückzuführen ist. Die Schlußfolgerung der Studie: „In Ballungsgebieten besteht dringender Handlungsbedarf.“
Schon heute könnten Verkehrsbehörden mit Hilfe der Straßen- Verkehrs-Ordnung (StVO) die Flut der Autos einschränken. Dort heißt es: „Zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen“ kann die Benutzung von Straßen eingeschränkt oder ganz verboten werden. Und für andere Zwecke gehören Sperrungen schon heute zum Alltag: für Straßenbauten.
Unterstützung bundesweit: Arbeitskreis Verkehr und Umwelt e. V., Kirchstraße 4, 1000 Berlin 21, Tel: 030/3926146,
Berlinweit: Unabhängiges Institut für Umweltfragen e. V., Friedrichstraße 165, O-1080 Berlin, Tel: 030/2291797
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