: Irakgate holt Major ein
Eine richterliche Untersuchung soll klären, wie weit das britische Kabinett in geheime Waffenlieferungen an den Irak verwickelt war/ Auch Thatcher belastet/ Schadensbegrenzung in London ■ Von Ralf Sotscheck
Die britische Tory-Regierung ist fieberhaft bemüht, den Schaden zu begrenzen, nachdem am Montag bekannt wurde, daß zahlreiche Kabinettsminister ihr eigenes Waffenembargo gegen den Irak durchbrochen haben. Premierminister John Major ordnete am Dienstag abend eine richterliche Untersuchung des Skandals an. Der Vorsitz wurde Lordrichter Scott übertragen, der als liberal gilt und 1987 das von der Regierung beschlagnahmte Buch „Spycatcher“ freigab, in dem ein ehemaliger Agent über Interna aus den Geheimdiensten berichtete. Der Untersuchungsausschuß kann die Kabinettsmitglieder, die jahrelang das Parlament belogen haben, jedoch nicht zur Aussage vorladen, sondern nur „einladen“. Major versicherte jedoch, daß alle Minister die Einladung annehmen werden.
Die Verwicklungen des Kabinetts in geheime Waffendeals mit dem Irak waren am Montag ans Licht gekommen, als drei Vorstandsmitglieder der Maschinenfabrik Matrix Churchill vom Vorwurf der Waffenschieberei freigesprochen werden mußten. Sie konnten nachweisen, daß die Regierung die Exporte in den Irak abgesegnet hatte. Darüber hinaus hatte einer der Angeklagten im Auftrag der britischen Geheimdienste jahrelang Iraks Militärmaschine ausspioniert (siehe taz von gestern).
Der Sündenbock
Die Regierung versuchte am Dienstag, den ehemaligen Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Alan Clark, zum alleinigen Sündenbock zu machen. Clark hatte vor Gericht zugegeben, daß er entgegen offizieller Regierungspolitik die Waffenexporte in den Irak befürwortet habe. Im Kreuzverhör hatte er sich heillos in Widersprüche verwickelt. Regierungsbeamte deuteten gestern an, daß Clark strafrechtlich verfolgt werden soll.
Die Opposition wird sich damit jedoch nicht abspeisen lassen. Labour-Chef John Smith warf Major, seiner Vorgängerin Margaret Thatcher und dem Kabinett vor, daß sie mit ihrer Politik den Tod britischer Soldaten im Golfkrieg in Kauf genommen hätten. Smith zählte mehrere Auftritte Majors und Thatchers vor dem Unterhaus auf, bei denen beide die Waffenlieferungen an den Irak geleugnet hatten. Die britischen Medien empörten sich gestern besonders darüber, daß drei Minister offenbar bereit waren, die Angeklagten der Firma Matrix Churchill ins Gefängnis wandern zu lassen, um ihre eigene Haut zu retten.
Innenminister Kenneth Clarke, Industrieminister Michael Heseltine und Verteidigungsminister Malcolm Rifkind hatten sich – letztendlich vergeblich – auf „öffentliches Interesse“ berufen, um Entlastungsbeweise zu unterdrücken. Diese Beweise, die die Regierung schwer belasten, führten schließlich zum Freispruch der Angeklagten. Major verteidigte am Dienstag die Aktion seiner Minister. „Sie waren verpflichtet, sich auf Immunität zu berufen“, sagte er. „Es ist Aufgabe der Gerichte, über das Interessengleichgewicht zu entscheiden.“
Neue Details
Gestern sind weitere Einzelheiten über eine geheime Kabinettssitzung unter der Leitung von Außenministers Douglas Hurd bekanntgeworden, die im Juli 1990 stattfand. Dabei warnte der damalige Handelsminister Nicholas Ridley, der später wegen antideutscher Äußerungen zurücktreten mußte, daß eine Unterbindung der Waffenexporte zu einer „weiteren Verschlechterung der Beziehungen mit dem Irak führen werden, die nur unseren Konkurrenten nützen“ könne. Das britisch-irakische Verhältnis sei ohnehin gespannt, seit der Zoll die für Irak bestimmte „Superkanone“ sowie Zünder für Atombomben beschlagnahmt habe, sagte Ridley.
Er wies darauf hin, daß die Regierung Exportgarantien für die Firmen in Höhe von einer Milliarde Pfund unterschrieben habe. Sollte der Irak sich weigern, seine Schulden zu zahlen, hätte das „Folgen für die Staatsverschuldung“. Eine Woche später – sechs Tage vor der irakischen Invasion Kuwaits – erteilte die Regierung Matrix Churchill die Exportgenehmigung, obwohl sie wußte, daß Irak damit Raketen bauen würde.
Der Freispruch im Prozeß gegen Matrix Churchill hat Konsequenzen für ähnlich gelagerte Fälle. Die Zollbehörde, die die Anklage im Alleingang gegen die ausdrückliche Anordnung der Regierung durchgesetzt hatte, gab gestern bekannt, daß sie die Beweise gegen die Birminghamer Maschinenfabrik BSA Tools „erneut begutachten“ werde. Möglicherweise wird der für den 30. November anberaumte Prozeß gegen den Firmeninhaber Keith Bailey wegen illegalen Waffenhandels mit dem Irak nun gar nicht erst eröffnet.
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