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Bald geben alle Wipfel Ruh'

■ Der neue „Waldzustandsbericht“ zeigt, daß Tannen und Buchen als erste ausgerottet sein werden

Berlin (taz) – Gegen den Autoverkehr kann der einstmals sprichwörtliche deutsche Wald immer weniger mithalten. Die Konsequenz, die Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle daraus zieht, lautet: vertuschen. Um die Statistik aufzubessern, ließ er im neuen „Waldzustandsbericht 1992“, der heute in Bonn vorgelegt wird, die Tanne, die am dramatischsten betroffen ist, nicht mehr gesondert erwähnen. Statt dessen erscheint nur noch der Durchschnittswert aller Nadelbäume. Die bereits übliche Praxis, daß abgestorbene und deshalb gerodete Waldgebiete aus den Berechnungen herausfallen, wird fortgeführt.

Außerdem soll der „Waldzustandsbericht“, wie er euphemistisch heißt, ab 1994 nur noch alle drei Jahre erscheinen. Entsprechende Informationen des „Naturschutzbundes Deutschland“ bestätigte das Bundeslandwirtschaftsministerium gestern gegenüber der taz.

Trotz aller Beschönigungen belegen die Zahlen eine weitere Zunahme des Waldsterbens: rund ein Drittel aller Bäume sind deutlich geschädigt, mehr als 40 Prozent sind erkrankt. Nach der Tanne (1991: 41 Prozent) ist am stärksten – mit 38 Prozent 1992 – die Buche geschädigt, gefolgt von Eiche (32 Prozent) sowie Fichte und Kiefer (24 Prozent). Nur noch ein Drittel des Waldes weist dem Bericht zufolge „keine erkennbaren Schadensmerkmale“ auf. Damit ist ein neuer Höchststand des Waldsterbens erreicht.

Vertreter von Umweltschutzverbänden kritisierten denn auch gestern die „systematische Bagatellisierung“ durch das Landwirtschaftsministerium. „Anfangs“, so Fachreferent Andreas Krug vom „Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland“ (BUND), „hieß es noch ,Waldschadensbilanz‘, später ,neuartige Waldschäden‘ und seit letztem Jahr nun ,Waldzustandsbericht‘.“

Der „Naturschutzbund Deutschland“ (NABU) warf dem Ministerium „Verschleierung der Ursachen“ vor. Dort macht man in erster Linie die Trockenperioden der letzten Jahre für das zunehmende Waldsterben verantwortlich, während in Wirklichkeit der immer weiter gestiegene Autoverkehr die Hauptschuld trage. Der rapide wachsende Autoverkehr, so NABU-Präsident Jochen Flasbarth, habe alle Verbesserungen bei der Entschwefelung von Großkraftwerken zunichte gemacht. NABU, BUND und andere Verbände fordern deshalb von der Bundesregierung eine rigorosere Verkehrspolitik und höhere Benzinsteuern.

Das Landwirtschaftsministerium wollte zu den Vorwürfen gestern nicht Stellung nehmen. Ein Sprecher äußerte sich lediglich zu dem Beschluß der bundesdeutschen Forstminister vom 2. Oktober 92, Erhebungen zum Waldsterben ab 1994 nur noch alle drei Jahre vorzunehmen. Auf diese Weise, so lautet die Begründung, könnten „saisonale Schwankungen“ beim Waldsterben „statistisch besser kontrolliert“ werden. KV Kommentar Seite 10

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