Moskau und Tokio auf der Schwabenrolle

■ Eine Bilanz des Festivals „Cinevideo“, das kürzlich in Karlsruhe stattfand

Griffige Tendenzen, zu „viel Trick und viel Schwarzweiß“, wie sie die Lokalpresse während des fünftägigen Festivals ausmachte, sind nur die halbe Wahrheit. Was die Organisatoren des nunmehr zum fünften Mal aufgelegten Karlsruher Festivals Cinevideo boten, war weit mehr: der in weiten Teilen geglückte Versuch, das unabhängige Film- und Videoschaffen von Tokio bis Tallinn und von Stuttgart bis Sacramento zu beleuchten. Nicht nur die Produkte, rund 70 Film- und Videoarbeiten, wurden dabei im Kulturzentrum „Tollhaus“ vorgestellt, auch die sozialen und kulturpolitischen Rahmenbedingungen wurden von Produzenten und Autoren thematisiert.

Als Paradebeispiel kann das Moskauer Videomagazin „Komsomolskaja Prawda Video“ gelten. Seit gut drei Jahren arbeitet das Videomagazin als audiovisueller Ableger der Zeitung des Kommunistischen Jugendbundes. Junge Filmer waren und sind es zumeist, die mit ihren Kameras bis in die dunkelsten Nischen der ehemals sowjetischen Gesellschaft hineinleuchten, auch das ein Ergebnis von Glasnost. In gleich zwei Filmschauen zur besten Zeit bot Cinevideo mit den „Prawda“-Reportagen zwar bereits überholte Zeitdokumente. Eine Tendenz der sowjetischen Spielart von Enthüllungsjournalismus indes wurde deutlich und bot Stoff zur Diskussion: die überzogene Einarbeitung westlicher formaler Klischees. Da wird musikalisch untermalt, mit Zeitlupensequenzen gearbeitet und inszeniert. Doch die Themen allein machen das Projekt bereits interessant. Die bislang von den Machthabern totgeschwiegene Realität mit Elend, Wohnungs- oder Arbeitslosigkeit wird plakativ vorgeführt, Prostitution in den Intourist-Hotels oder das Schicksal von Deserteuren.

Gänzlich anders geartet der Schwerpunkt „Tokyo Underground“: Formal europäischen Arbeiten des unabhängigen Films sehr ähnlich, ist es hier vor allem der wirtschaftliche und soziale Kontext, in dem die Arbeiten von Jungfilmern wie Jun Kurosawa und Produzent Akita Takaaki entstanden sind. Denn die Filmproduktion wird in Japan, noch stärker als in Europa und Amerika, von wirtschaftlichen Gegebenheiten gelenkt. Mithin müssen die unabhängigen Filmer ihre Arbeiten selbst finanzieren. Beschränkter Wohn- und Arbeitsraum zusammen mit dem Mangel öffentlicher Fördermittel tun ein übriges. Die japanischen Beiträge waren ein Premierenereignis; noch nie wurde der Kanon von 21 unabhängigen Filmarbeiten in der Bundesrepublik gezeigt.

„Mapping the Future“ heißt das großangelegte „New-Media“-Projekt des englischen Videoproduzenten und Theoretikers Jon Dovey. Das Film- und Videoprogramm britischer Künstler erprobt den kritischen Umgang mit neuen Medientechnologien. Doveys Karlsruher Videoseminar setzte die Thesen von Marshall McLuhan aus den sechziger Jahren in Beziehung zur technischen Wirklichkeit des ausgehenden Jahrhunderts: „Neue Medien von virtueller Realität werden bald in der Lage sein, naturalistische Abbilder zu erzeugen, ohne sich auf die Natur beziehen zu müssen.“ Die Darstellung von Realität werde radikal neu konstruiert werden müssen. Wichtig sind ihm im gegenwärtigen Prozeß, den Dovey für ähnlich bedeutend wie die Fotografie hält, Fragen des sozialen Kontextes. „Wir müssen fragen, wer Zugang zu den neuen Medien haben wird.“ Wie werden Kunst und Bild möglich, wenn sich nur ein kleiner Teil die Ausrüstung leisten könne? Weil diese Technologie zu Profitzwecken produziert werde, bedeutete sie auch „militärische Systeme und Überwachungseinheiten“. Mit Computerspielen und virtueller Pornographie werde gegenwärtig ein Anfang gemacht.

Doch zurück zu den Filmschauen des Festivals, das übrigens zum ersten Mal technisch vom Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) unterstützt wurde. Eigens für Cinevideo hatte Antoni Mercader, der Ausstellungsleiter vom Centre Cultural Tecla Sala und Begründer der Videoschule „Videografia“, ein Programm zusammengestellt, das die Videoszene von Barcelona vorstellte. Ähnlich den Tokioter Videokünstlern müssen auch die unabhängig Arbeitenden in Barcelona ohne öffentliche Förderung auskommen.

Die „Schwabenrolle“ ist eine Zusammenstellung verschiedenster Animationsfilme, die im Rahmen des Kulturaustausches zwischen Rußland und Baden-Württemberg auch in Moskau zu sehen war. Ein Großteil der Arbeiten stammt von Absolventen der Trickfilmklasse an der Stuttgarter Kunstakademie. „Bravo Papa 2040“ von Susanne Fränzel fiel dabei besonders auf.

Mit 30.000 Mark bezuschußte die Stadt Karlsruhe das mittlerweile arrivierte Cinevideo-Festival. Halb soviel machte die Beteiligung des Landes Baden-Württemberg aus. Zusammen mit den Einnahmen aus dem Kartenverkauf reicht das Geld nach Veranstalterangaben zur Deckung der Kosten. Einer der wichtigsten Bestandteile der technischen Ausstattung kamen erstmals vom Zentrum für Kunst- und Medientechnologie: die lebenswichtigen Normwandler für die verschiedenen Videosysteme. Wolfgang Voigt