Jetzt haben wir sie endlich totgeschwiegen

■ betr.: "Suche nach dem gemeinsamen Gefühl", von Heide Platen, taz vom 2.11.92

betr.: „Suche nach dem gemeinsamen Gefühl“ von Heide Platen, taz vom 2.11.92

[...] Als Teilnehmer der Trauerfeier für Petra Kelly und Gerd Bastian war ich von der Veranstaltung und von der Berichterstattung darüber, insgesamt gesehen, doch positiv überrascht, abgesehen von einigen Aspekten, die mir heute noch übel aufstoßen:

[...] Es kann nicht im Sinne Petras und ihrem Verständnis von Menschenrechten gewesen sein, daß da ausgerechnet ein Mann wie Lafontaine auftritt, der ansonsten für eine Grundgesetzänderung Art. 16 lamentiert, und daß dann auch noch so unkritisch darüber berichtet wird. Wer verantwortet denn so was?

Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß Petra und Gert bei einem solchen Anlaß statt einer Trauerfeier, zumindest aber anschließend, eher eine Protestaktion gegen diese Grundgesetzänderung organisiert hätten. Und diejenigen, die an einen Selbstmord nicht glauben wollen, sind garantiert nicht nur eine Minderheit, wie beschrieben. Selbst wenn, Petra wäre die erste gewesen, die sich gegen ein Inruhelassen der Angelegenheit gewehrt hätte. [...] Carl-Heinz Grabe, Eisenach

„Sie werden uns fehlen“, tönt es aller Orten. Und das ist schlicht gelogen. Wenn Petra Kelly und Gert Bastian uns in Zukunft tatsächlich fehlen sollten, so setzt das voraus, daß wir sie heute und gestern und morgen gebraucht hätten, doch allein die Art ihres Todes und die Tatsache, daß sie so lange unentdeckt vergammeln konnten, belegt das genaue Gegenteil.

Wir haben sie schon lange nicht mehr gebraucht, sonst hätten wir sie auch zu Wort kommen lassen, hätten ihnen Platz eingeräumt im politischen Tanz um die Macht. Statt dessen wurden sie fürs Ausland und zur Beruhigung des eigenen Gewissens als Galionsfiguren zum stummen Aushängeschild hochstilisiert, auf daß sie den aktuellen Geschehnissen möglichst weit entrückt seien, damit man sich mit ihrem verqueren Stil und moralischer Rigorosität nicht mehr auseinanderzusetzen brauche. Die Worte von den Lücken, die sie hinterlassen, spiegeln als hohle Lippenbekenntnisse genau diesen Prozeß wieder, der sich noch über ihren Tod hinaus fortsetzt. Und sie weisen die Schuld an der mangelnden Umsetzung ihrer Ideen auf die Toten zurück, die sich doch hätten eindringlicher bemühen müssen, anstatt nun so unwiderruflich aufzugeben.

Ein ehrlicher Nachruf darf sich nicht auf derlei selbstgefällige Innerlichkeit zurückziehen. Anstatt auf das zukünftig beschworene Fehlen der beiden abzulenken, müßte er die Sprechenden selbst in die Pflicht nehmen mit ihrem gegenwärtigen, vergangenen und zukünftigen Handeln. Will man den Toten gerecht werden und über die Trauerreden hinaus Konsequenzen ziehen, so müssen wir uns eingestehen: „Es hat lange gedauert. Jetzt haben wir sie endlich totgeschwiegen.“ Kerstin Ruoff, eine der vielen „Unbeteiligten“, Lindenfels