: Die FU muß unzweifelhaft kleiner werden
■ Notwendige Kürzungen können nur durch Aufgabe von Fachbereichen erfolgen, vertritt der Dekan der Erziehungswissenschaften an der FU, Professor Dieter Lenzen
taz: Woran liegt es, daß die Studiensituation bei den Erziehungswissenschaftlern so schwierig geworden ist?
Prof. Dieter Lenzen: Hinter den augenscheinlichen Problemen heute stecken tieferliegende Probleme. Wir haben in den siebziger Jahren aufgrund der zahlreichen Wünsche des Staates, die Studien zu reformieren und stärker zu strukturieren, Studienordnungen entworfen (nicht nur in der Erziehungswissenschaft), die sehr viel vorschreiben und zum Teil sehr verschult sind. Dadurch müssen den Studenten auf jeden Fall ganz bestimmte Lehrveranstaltungen abgefragt werden, so entstehen Engpässe, und der Gestaltungsspielraum für die einzelnen Studierenden wird sehr eingeschränkt. Ich möchte die Studiengänge entschlacken, das heißt, das Pflichtangebot reduzieren und größere Wahlmöglichkeiten schaffen. Ich hoffe, daß wir das über neue Studienordnungen im nächsten Jahr hinkriegen. Man hat ja fälschlich gemeint, daß dadurch, daß man alles vorschreibt, die Studien besser würden, aber das ist überhaupt nicht der Fall. Es führt in vielen Fällen zu einer Gängelung. Was wir zur besseren Betreuung der Studierenden brauchen, und das haben wir als erster Fachbereich in der FU eingeführt, ist ein Mentorensystem. Da bekommt jeder Hochschullehrer und jeder Wissenschaftliche Mitarbeiter, soweit er das möchte, eine bestimmte Zahl von Studierenden, zwanzig Anfänger, zugewiesen, für die er persönlich verantwortlich ist, so wie das in Amerika üblich ist. Das heißt, die er persönlich kennt, die er mindestens einmal in vierzehn Tagen trifft, um über ihren Studienverlauf zu reden.
Aber in diesem Semester ist ja die Studiensituation besonders schlimm. Wer ist denn in der Universität, in der Politik schuld daran?
Zum einen ist natürlich unübersehbar, daß die fortgesetzten finanziellen Reduktionen für die FU Probleme aufwerfen — vor allem deshalb, weil die Hochschulleitung nach dem Rasenmähermodell vorgegangen ist. Es hat die Stellen getroffen, die zufällig durch den Abgang von ehemaligen Stelleninhabern frei werden, und damit sind die Überfüllungen, die wir jetzt haben, nach dem Prinzip Zufall entstanden. Entscheidend aber ist, daß sich die politische Seite darüber klarwerden muß, daß eine Umsetzung von Studienplatzkürzungen nicht kurzfristig möglich ist, sondern zunächst Augenwischerei darstellt, wenn man sagt, ab nächstes Semester haben wir 10.000 Studenten weniger. Für fünf, sechs Jahre sind ja diejenigen da, die in den großen Zahlen zugelassen worden sind. Unbestreitbar ist, daß die Größe der FU in dieser Form nicht erhalten bleiben kann. Was wir als FU brauchen, sind strukturelle Maßnahmen, die die notwendigen Kürzungen durch Abgabe von Fächern und Unterfächern erlauben. Es reicht nicht, daß die FU das Wort Struktur in die Gegend ruft. Was wir brauchen, ist eine Vision für die Gestalt dieser Universität in zehn, fünfzehn Jahren. Dann kann man sagen, wenn dieses die Ausbildungs-, und das die Forschungsaufgabe der FU sein soll, dann müssen wir diese Fächer stärken, und auf jene können wir verzichten. Solange es diesen Rahmen nicht gibt, bleibt alles andere zufällig, und diese Vision vermisse ich im Augenblick.
Was hat denn das Gespräch mit Senator Erhardt gebracht?
Er hat deutlich gesagt, daß er die Unmöglichkeit sieht, die Reduktion der Studentenzahlen unmittelbar umzusetzen. Er hat den Studierenden gesagt, daß er ihre berechtigten Ansprüche hinsichtlich eines geregelten Studiums unterstützt, aber: gegenüber der Universität. Nicht in dem Sinne: jetzt steck ich da Geld rein, sondern er hat gesagt, er verlangt, daß die Universität erklärt, ob sie ihre Ressourcen denn auch ausnutzt. Er hat dem Fachbereich die Auflage gemacht, Erklärungen von jedem vorzulegen, ob er sein Lehrdeputat erfüllt. Das werden wir machen. Dabei wird sich herausstellen, daß viele mehr lehren, als sie eigentlich müssen. Aber das ist ja gut, um eventuelle Zweifel zu beseitigen. Und er hat verlangt, daß der Präsident zwei Stellen in der nächsten Woche ausschreibt, die seit einem halben Jahr von der Hochschulleitung zur Wiederbesetzung nicht bearbeitet worden sind. Man kann sagen, das ist ganz geschickt, der Senator gibt den Ball an die Universität zurück, er hat ja auch keinen Spielraum finanziell, aber er hat auch gesagt, wenn trotz solcher Maßnahmen noch Probleme auftauchen, will er sie lösen. Etwa indem er Professoren abordnet aus Bereichen, die offenbar unterbeschäftigt sind. Das ist riskant, weil er natürlich in die Autonomie der Universität eingreift, wenn die Universität selber nicht in der Lage ist, das selber zu machen. Die FU muß sich sehr gut überlegen, ob sie sich nun auf die Hinterbeine setzt und das selber in die Hand nimmt.
Das wirft natürlich kein sonderlich gutes Licht auf den Präsidenten.
Das kann man so sehen. Das Gespräch führte
Winfried Sträter.
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