: Nordfrau und Südmann
Uwe Wandrey macht sich Gedanken darüber, was Frauen in den Süden und in die Arme der dortigen „Vollmänner“ treibt ■ Von Edith Kresta
Uwe Wandrey hat es sich nicht leicht gemacht. Er kennt sich aus mit der einschlägigen Beziehungsliteratur von Freud über Anja Meulenbelt bis Pascal/Finkielkraut. Denn, so weiß er, insbesondere die Frauen aus dem Umfeld der Frauenbewegung, die am herrschenden Männerbild herumgemeißelt haben, bis es kippte, machen sich auf in den Süden, hin zur dunkel-lockenden Fremdheit des Südmanns. Es sind sicherlich auch die Frauen aus dem Umfeld des Intellektuellen Wandrey. Und diese lassen nicht nur ihre im Selbstverständnis verwirrten und verirrten Nordmänner, sondern auch die Welt der Bücher hinter sich, um in den Armen eines „Südmanns“ dahinzuschmelzen; sich an selig „archaischer Regression“ zu berauschen.
„In den Süden“, bestätigt Wandrey in seinem Buch „Liebesfluchten“, „sehnen sich vor allem Frauen, die die Entzugserscheinungen in ihrem Gefühls- und Liebesleben nicht mehr hinnehmen wollen.“ Der südliche Patriarch, der eigentlich als historische Fehlentwicklung abgelegte Macho, scheint einige akute Defizite wettzumachen. Der Südmann ist für Wandrey in erster Linie der Mann, der der industriellen Produktionsweise noch nicht völlig unterworfen, noch nicht von ihr geprägt ist. Wandrey nimmt die Sehnsüchte und Wünsche der Frauen ernst. Ohne Arroganz, allenfalls mit gebremstem Neid, sucht er den Reiz des Südens bzw. Südmanns zu ergründen und damit die Defizite in den heimischen Liebesbeziehungen mit dem nördlichen Gefährten aufzuzeigen.
Psychologische, soziologische und kulturelle Erklärungsversuche sind sein Instrumentarium. Ein postmodernes Erklärungspotpourri, das interessante Aspekte benennt und spielerisch bis konstruiert daherkommt: konstruiert, wo er beispielsweise versucht, den häufig vorkommenden Urlaubslieben zwischen einer Deutschen und einem Griechen eine traditionsbedingte Seelenverwandtschaft zu unterschieben, wo wohl eher die Zufälligkeit der touristischen Ströme und Moden verantwortlich ist. Spielerisch, wo er die ent-erotisierte Lebenswelt des Nordens analysiert: den Verlust von Zeit und Raum, die sexuelle Marktfreiheit und letztlich die zerstückelte, enteignete Sexualität. Marxisten wie Wolfgang Hauck oder der Soziologe Ulrich Beck stehen seinen gesellschaftstheoretischen Ausführungen Pate.
„Viele Frauen erleben sich im nördlichen Beziehungsklima als weniger begehrenswert und besitzen dort ein geringeres weibliches Selbstwertgefühl als im südlichen Reizklima.“ Nicht wenige jedoch, weiß Wandrey aus seinen Gesprächen mit ungefähr dreißig südlastigen Frauen, finden dort mehr als nur eine kurze Affäre: „Eine ekstatische Erschütterung.“ Wandrey versucht dieser mit psychoanalytischen Kategorien und C.G. Jung auf die Spur zu kommen. „Im Süden drängen die Bedürfnisse des Unbewußten heftiger und widerstandsloser hervor.“ Im Süden und sicher auch im „gesellschaftsfreien“ Raum Urlaub, der eine gewisse Unverbindlichkeit und die romantische Projektion auf den Urtyp Mann gewährt. „Meist kommt es zu seltsamen Allianzen: Die Psychologin geht mit dem Fischer, die Lehrerin mit dem Tavernenwirt, die Schriftstellerin mit dem Hirten ...“, berichtet der Autor. Mit ihrem Drang zum urwüchsigen Mann führe die Frau vor, „mit wie vielen Verlusten ihre privilegierte Stellung in der modernen Welt bezahlt wird, und sie möchte die Fortschritte, und sei es nur für so kurze Zeit, vergessen machen. (...) Denn die zunehmende Angleichung der Frau an die soziale Stellung des Mannes, zweifellos ein Gewinn, hat auch zu einem beträchtlichen Verzicht geführt.“ Die Nordfrau könne an der Seite des Südmanns verdrängte, unbewußte archaische Wünsche ausleben.
Und ihr unglücklicher, zurückgelassener Kamerad? Wo bekommt der unterkühlte Nordmann, der durch die Bedingungen der industriellen Welt verformte „Typ“ diese Möglichkeit geboten? Allenfalls im „Sei ein Mann“-Seminar, beim Survival-Training in Kanada oder beim schnellen Riß in den Bars von Bangkok. Kurzwährende, typisch männliche archaische Regression des lonesome rider, wo Adrenalinschub statt „ozeanisches Gefühl“ angesagt ist? Doch zu seinem Trost: auch die archaische Erschütterung der „fremdgehenden“ Nordfrau hat in den seltensten Fällen Bestand, geschweige denn Lebensperspektive. Sie erhascht, wie aus den Gesprächen mit den Frauen hervorgeht, höchstens einen Zipfel vom kurzen wilden Glück, das sich im Alltag oft schnell verflüchtigt.
Also ein Buch zum Thema „Was Sie schon immer über weibliche Urlaubslieben im Süden wissen wollten?“ Eine Verallgemeinerung der individuell geprägten Südsehnsucht, die Nordfrauen bei Südmännern ausleben mögen, kommt gefährlich nahe an die Klischeekiste heran und ist von peinlich bis platten Ausrutschern bedroht. Obendrein, wenn sich ein Mann in die Frauen hineinfühlt. Doch Wandreys Gratwanderung ist nie peinlich, höchstens etwas schlicht bei bestimmten groben Kategorisierungen der Frauen oder ihrer geographischen Vorlieben. Es sind die Beobachtungen und Gedanken eines intellektuellen Voyeurs, dem qua Geschlecht nur Lauwarmes statt Heißes im Süden widerfährt und dem sehr viel an einer Belebung der Beziehung zwischen Mann und Frau gelegen ist.
Uwe Wandrey: „Liebesfluchten. Was Frauen in den Süden zieht.“ Rasch und Röhring,
Hamburg 1992.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen