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Ein Land verkommt zum Diebesstaat

Noch immer wird Haiti von einer korrupten Militärjunta ausgepreßt  ■ Aus Port-au-Prince Jan Eggersglusz

Downtown. Wie immer gehört der erste Abend meinen Freunden in dem ärmlichen Innenhof in der Rue des Miracles. Kein Blackout wie üblich. Die ganze Stadt, auch die Hügel des Nobelvorortes Pétionville sind hell erleuchtet. Aber nirgends im Hof und in den Hütten brennt Licht. Mein Freund Hippolyte, seine Schwester Floralia und Mutter Clarissa sitzen im spärlichen Schein einer Petroleumlampe, aus einer alten Kondensmilchdose gebastelt.

Im Hof herrscht Aufregung. Hippolyte: „Heute nachmittag hat uns die Elektrizitätsgesellschaft abgeklemmt und unsere Leitungen mitgenommen. Ich brauche von dir zehn Dollar, ich muß gleich zum Marché Salomon, da verkaufen die E-Leute unsere Kabel. Und morgen früh, da montieren wir sie wieder an. Die Regierung sorgt nicht für Arbeit, wir verdienen nichts, und jetzt klauen sie uns sogar noch den Strom.“

Krause Logik, aber die Armen wissen, daß die Reichen Stromrechnungen auch nicht bezahlen — nur besser kaschiert. Beträgt eine Rechnung 1.000 Dollar, reklamieren sie, daß der Zähler falsch anzeige. Der Angestellte des E- Werks erhält ti bagay anba oder ti pouse mouch (etwas unter dem Tisch, die Fliege etwas drücken), ein Bestechungsgeld, und korrigiert die Rechnung kräftig nach unten. „Adjustement“ nennt man das.

Peralte, ein Nachbar: „Und ausgerechnet jetzt klemmen sie uns ab, wo es fast keine Blackouts gibt.“ Er läßt mich auch gleich den Grund wissen: „Der Regierung, die uns nur leere Versprechungen macht und ihre Taschen füllt, hilft nicht nur der CIA, sondern auch der liebe Gott: das Kraftwerk Peligre läuft wegen der guten Regensaison Tag und Nacht.“

Acédene wirft ein: „Die macoutes bazinistes (Todesschwadrone des von der Junta eingesetzten Staatschefs Marc Bazin) sorgen nur für ihre reichen Freunde in Pétionville. Die Rue Panamericaine, auf der sie zu ihren Protzvillen fahren, lassen sie asphaltieren. Für uns hier unten bleiben die Straßen mit den vielen Schlammlöchern. Und das bei dem vielen Regen.“

Clarissa hat andere Sorgen: „Gestern haben sie wieder Ti Michelin, den Kleinen von nebenan, verprügelt.“ Wer? „Die Polizisten, die Soldaten, als er in der Rue Pavée herumstromerte. An unschuldigen Kindern nehmen sie Rache, weil Aristides ganze Sorge ihnen galt. Die meisten betteln, ja, aber Ti Michelin bestimmt nicht, er ist noch so klein.“

Clarissa weiter: „Die Regierung hat zum neuen Schuljahr zwar die Schulbücher verbilligt, aber wir haben keinen Centime, um Bücher zu kaufen.“ Peralte wirft ein: „Das ist wieder ein Geschenk für die Reichen. Wir können entweder Reis oder Schulbücher kaufen. Und jede Woche wird der Reis teurer.“

Hyppolite muß ein Ärgernis loswerden. Er berichtet von einem Behördengang: „Um halb zwölf war ich da, aber schon war alles geschlossen. Bis zwei ist Dienstzeit, aber sie machen mit uns, was sie wollen. Bei Aristide gab's das nicht. Titid (Kosename für den gestürzten Präsidenten Aristide) hat in einem Amt eimmal alle nicht anwesenden Beamten fristlos entlassen, und danach kam keiner zu spät oder ging zu früh.“

„Jetzt geht hier das richtige Geldverdienen los“

Im Hotel Oloffson, dem „Trianon“ in Graham Greenes Roman „Stunde der Komödianten“ über die Duvalierzeit. Pierre-Louis, der Unternehmer, erzählt bei einem mindestens dreifachen Chivas, und nicht dem ersten: „Embargo – daß ich nicht lache! Wir kriegen doch alles rein. Wenn ich die Waren nicht über Port-au-Prince, sondern über Léogane einführe, zahle ich keinen Centime Zoll, da habe ich Freunde.“

Die Zolleinnahmen des Staates sind drastisch zurückgegangen – kein Wunder bei den khakiuniformierten „Freunden“. Pierre-Louis weiter: „Und du kannst mir glauben, jetzt geht hier das richtige Geldverdienen los: da wir die Löhne nicht erhöhen, produzieren wir bei dieser galoppierenden Inflation zu halben Kosten. Arbeiter, die aufmucken, fliegen raus. Und dem Parlament zeigen Bazin und das Militär auch, wo es lang geht, die wagen doch keinen Pieps mehr. Die wollen doch nicht, daß ihre Häuser plattgemacht werden. Lieber beteiligen die sich bei Bazins Geschäften.“

Mike, der Amerikaner, der mir immer wieder über den Weg läuft, beugt sich zu mir und flüstert: „Ich muß dir etwas erzählen: Ein Bekannter besorgt mir einen Termin in einer Behörde, weil ich für eine Bagatelle eine Genehmigung brauche. Ein hochgewachsener Mulatte, Goldbrille, maßgeschneiderter Anzug, dem ich mein Anliegen vortrage. Er fordert meine Unterlagen, legt sie auf den Aktenbock, zum Beschweren nimmt er eine Pistole, mit der er vorher einschüchternd und angeberisch herumgefuchtelt hat. Er sagt: ,Dann ist da noch eines: Den Antrag bearbeite ich, und der ist auch so gut wie bewilligt. Aber das muß immer durch die Anwaltskanzlei meines Cousins laufen, bei dem müssen Sie jetzt 1.000 Dollar einzahlen.‘“ Graham Greene läßt grüßen. Bazins Kumpane machen es nur intelligenter: Es werden keine Bestechungsgelder angenommen, es werden „Anwaltshonorare“ bezahlt.

Korruption ist daher schwerer zu beweisen. Kein Wunder, daß Bazin behauptet, „Mr Clean“ zu sein. Welche Beträge müssen wohl gezahlt werden, wenn es um Einträgliches geht — wie zum Beispiel um den Vertrag, mit dem einer US- amerikanischen Firma praktisch das Monopol für den gesamten Reisimport übertragen wurde?

Auf der Fahrt in den Norden durchqueren wir den Fluß „Trois Riviére“: ein riesiger Scraper, ein Straßenbaugerät, rottet im Flußbett vor sich hin. Auf dem gelben Lack ist noch zu lesen: Amitié Haitiano-... Die Freundschaft kommt die Geberländer teuer. Überall im Land sieht man wegen eines kleinen Defektes ausgefallene Geräte. Haiti hat kein Interesse an der Instandhaltung, die helfenden Staaten werden es schon richten. Und an einem neuen Projekt, Straßenbaumaschinen für 10 Millionen Dollar, lassen sich mehr „Anwaltshonorare“ verdienen als an einer Ersatzteilbeschaffung.

In Port-de-Paix hat ein europäischer Geber ein Müllfahrzeug zur Verfügung gestellt. Der Müll türmt sich wieder in allen Gassen. Jonel erklärt: „Ein kurzer Schlauch ist gerissen. Durch das lange Stehen ist auch die Batterie ausgefallen. Die Bürgermeisterei zahlt die kleine Reparatur einfach nicht.“ Ein Städtchen erstickt im Müll, eine Investition von -zigtausend Mark rottet vor sich hin, nur wegen der Gleichgültigkeit und Bereicherungsmentalität der Stadtverwaltung.

Jonel: „Das ist noch nicht das Schlimmste. Guck mal da rüber, zur Kaserne!“ Da stehen Windräder, die Strom erzeugen sollen, damit das Land Importdiesel spart. „Seit Jahren stehen die still.“ Er fragt mich, was das wohl gekostet haben mag. Ich weiß, daß seine Mutter Spülmädchen mit einem Tageslohn von zwei Dollar in einem Hotel ist und schäme mich, als ich ihm meine Schätzung, sechs Millionen, sage.

Das Bitterste sage ich ihm nicht: Es ist doch ein „erfolgreiches“ Projekt – im Geberland haben die Consultants und der Hersteller Gewinne gemacht, dem Mittelabflußzwang der Ministerien wurde genügt. Für die „Genehmigungen“ sind in Haiti der Elite reichlich Gelder zugeflossen.

Mir fällt auf, daß im Norden ein beträchtlicher Teil der Felder nicht bebaut ist. Ich erkundige mich: „Ja, das Feld gehört einem, der jetzt als Houngan (Voodoopriester) in Gonaives arbeitet; jenes einem meiner Freunde, der es nicht mehr bebaut, weil alle seine Kinder in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Port-au-Prince gegangen sind.“

Nützte das Land seine eigenen Ressourcen besser, bräuchte es nicht so viel Entwicklungshilfe. Dabei sind seit einem Jahr die großen Entwicklungshilfeprojekte gestoppt worden. Dem Land helfen nur noch die Nichtregierungsorganisationen und die Zahlungen der Exilhaitianer in der Diaspora. Den Bauern, den einfachen Haitianern, geht es zwar schlechter, aber Schreckensbilder wie aus Somalia sieht man hier nicht.

„Bald geht die Flucht mit Booten wieder los“

Auf der Fahrt in den Süden, in Ti Vallée, besuche ich einen Priester: Er berichtet, daß die Armee nach wie vor Hatz macht auf Jugendliche, die sie für Anhänger des Präsidenten Aristide hält. Viele sind in die Umgebung geflüchtet und halten sich versteckt. Aber auch in den ländlichen Gebieten ist es nicht besser. Da wüten jetzt die „chefs de sections“, die von der „Regierung“ Bazin wieder in Amt und Macht eingesetzten omnipotenten Landpolizisten. Und er fügt hinzu: Noch übler ist, daß die sich jetzt unbezahlte Attachés halten, die nur davon leben können, daß sie die Landbevölkerung terrorisieren. Und er gibt noch ein persönliches Beispiel: „Mit meinem Jeep habe ich einen Unfall gehabt, der Friedensrichter hat in seinem Urteil den Unfallgegner schuldig gesprochen. Kurz darauf ist der Friedensrichter zu mir gekommen, er müsse das Urteil wiederhaben. Ich bekam ein neues Urteil, der Gegner war nicht mehr schuld. Hier, in einem kleinen Dorf, läßt sich nichts verheimlichen: der Unfallgegner war ein Freund des örtlichen Armeechefs.“

Anse de Coco: Hier waren doch beim letzten Besuch noch viele Bäume. Baptiste erklärt: „Da die US Coast Guard unsere Boote zerstört, nachdem sie die Flüchtlinge aufgebracht hat, müssen wir Schiffe neu bauen. Bald geht die Flucht mit Booten wieder los.“

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