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Die Schulden müssen warten

US-Präsident Bill Clinton setzt auf Investitionen in die Infrastruktur und die Ausbildung/ Der Abbau des Defizits folgt später  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Es mag eher an der Bürde als der Würde des neuen Amtes gelegen haben: Bill Clinton klang bei seiner ersten Pressekonferenz nach dem Wahlsieg schon sehr gedämpft und bemüht, die Erwartungen der WählerInnen herunterzuschrauben. Er mag sich an die Prophezeiung eines Journalisten erinnern, der angesichts der ökonomischen Probleme des Landes erklärte: „Dieser Wahlkampf wird das letzte gewesen sein, woran Clinton Spaß hatte.“

Ganz so düster sah es der gewählte Präsident am Donnerstag in seinem Gouverneurssitz in Little Rock, Arkansas, nicht. Ab und an fühle er sich von seiner neuen Aufgabe schon überwältigt, „aber schließlich habe ich um diese Verantwortung gebeten“. Im übrigen solle niemand Wunder von ihm erwarten. Ein bißchen Zauberkraft würde aber nicht schaden, denn in den hundert ersten Tagen seiner Amtszeit muß Clinton zwei Anforderungen erfüllen, die kaum zu vereinbaren sind: Ein Maßnahmenpaket zur kurzfristigen Ankurbelung der US-Wirtschaft und einen Plan zur Reduzierung und Kontrolle des Haushaltsdefizits.

Ersteres will der Demokrat mit Hilfe eines staatlichen Investitionsprogramms erreichen: Zusätzlich zu bereits verabschiedeten Programmen sollen 20 Milliarden Dollar jährlich in den Ausbau des Transport- und Kommunikationssystems sowie in die Entwicklung neuer Technologien gesteckt werden. Clintons zweite Trumpfkarte sind Steueranreize für private Investoren. Diese Anreize würden nach einer Studie, die vom Wahlkampfteam der Demokraten in Auftrag gegeben wurde, die Staatskasse in den ersten beiden Amtsjahren elf Milliarden Dollar kosten. Clintons Zaubertrick liegt ganz einfach in der Annahme, daß der staatlich initiierte Wirtschaftsaufschwung erstens Arbeitsplätze schafft und zweitens die Steuereinnahmen des Staates so weit erhöht, daß das Defizit zumindest nicht steigt. Sein Programm will Clinton zudem durch Steuererhöhungen für Reiche sowie ausländische Firmen finanzieren.

Funktioniert der Zaubertrick nicht so, wie im Wahlkampfprogramm vorgesehen, wird das Haushaltsdefizit in die Höhe getrieben. Darauf würden die Finanzmärkte empfindlich reagieren. Langfristige Investitionen von Unternehmern blieben dann wahrscheinlich aus. Schon jetzt prognostizieren Wirtschaftsexperten, daß ein staatliches Investitionsprogramm mindestens 50 Milliarden Dollar umfassen muß, um Anzeichen eines Wirtschaftsaufschwungs sichtbar werden zu lassen.

Als programmatischer Kopf steht der Wirtschaftsprofessor Robert Reich von der Harvard Universität für das Clinton-Programm. Der gewählte Präsident machte seinen wirtschaftpolitischen Berater Reich folgerichtig am Donnerstag zum Chef seines ökonomischen Übergangsteams. Reich, der politische Ökonomie lehrt und auch als Kandidat für einen Kabinettsposten oder einen Sitz für den neu zu schaffenden „ökonomischen Sicherheitsrat“ gilt, hat schon in seiner Rolle als Wahlkampfberater die ökonmischen Prioritäten einer Clinton-Administration eindeutig bei staatlichen Investitionen zum Wiederaufbau der Wirtschaft angesiedelt – nicht bei der Reduzierung des Haushaltsdefizits. Die Qualifikation der Arbeitskräfte und der Zustand der Infrastruktur sind für ihn die entscheidenden Kriterien für die internationale Konkurrenzfähigkeit der US-Ökonomie.

Reichs Philosophie schlug sich im Wahlkampfprogramm Clintons deutlich nieder: staatlich finanzierte Programme zur Umschulung von Arbeitnehmern, die Schaffung eines Berufsausbildungssystems nach europäischem Vorbild und schließlich der College-Abschluß für alle: In einer Clinton-Administration soll jeder Amerikaner die Möglichkeit haben, über einen staatlichen Kredit seine Universitätsausbildung zu finanzieren. Die Schulden können, so der Plan, im öffentlichen Dienst abgearbeitet werden.

Angesichts der Unruhe und Kritik an einer „neuen, alten“ Politik der Schulden und Staatsausgaben durch einen Demokraten im Weißen Haus, wird mit Spannung erwartet, wen Bill Clinton zum Finanzminister seines Kabinetts machen wird. Im Gespräch sind unter anderem der ehemalige Vorsitzende des „Federal Reserce Board“, Paul Volcker; Roger Altman, ehemals Mitarbeiter des Finanzministeriums unter Jimmy Carter, sowie die Senatoren Bill Bradley und Lloyd Bentsen. Bentsen ist Vorsitzender des Finanzausschusses des US-Senats.

Clinton tritt ein schweres Erbe an: Ohne überhaupt einen Cent in den Wiederaufbau der Wirtschaft investiert zu haben, ist er in seinem ersten Amtsjahr bereits mit einem Rekorddefizit von rund 300 Milliarden Dollar konfrontiert. Vorgänger Bush hat ihm außerdem die letzte Rechnung zur Rettung der „Savings & Loans“-Banken übriggelassen, die allein fünfzig Millarden Dollar an Steuergeldern ausmachen wird.

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