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"So lösen wir das Problem nicht ..."

■ Die taz sprach mit dem Hamburger Verwaltungsrichter Friedrich-Joachim Mehmel, im Nebenberuf SPD-Erneuerer und Chef der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer JuristInnen, über die Asylpolitik der SPD

, im Nebenberuf SPD-Erneuerer und Chef der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer JuristInnen, über die Asylpolitik der SPD

taz: Herr Mehmel, Hamburgs SPD will Artikel 16 ein bißchen ändern. Der Bundesparteitag wird voraussichtlich ähnlich entscheiden. Sind wir jetzt endlich vor der Asylantenflut geschützt?

Mehmel: Nein, in keiner Weise. Wir haben kein Grundgesetzproblem, sondern ein Einwanderungsproblem. Und ein Problem des Vollzuges von Gesetzen. Allein 400000 unerledigte Anträge liegen in Zirndorf.

taz: Sie haben jüngst klipp und klar formuliert, es gebe nur zwei

1Alternativen: Die ungeschmälerte Beibehaltung oder eine Abschaffung des Asylrechts. Steuert die SPD nicht genau auf eine jener Scheinlösungen zu, von denen die BürgerInnen die Nase voll haben?

Mehmel: Die Gefahr ist groß. Der Kompromiß, der jetzt voraussichtlich auf dem Bundesparteitag verabschiedet wird, schmälert das Recht auf Asyl nicht. Ja, für diesen Kompromiß bedarf es sogar eigentlich keiner Änderung des Grundgesetzes. Aber: Auch eine Änderung von Artikel 16, die für unsere Asylrechtstradition unschädlich ist, erweckt den Eindruck, als sei der Zuwanderung durch die Änderung von Gesetzen beizukommen. Das ist aber nicht der Fall. Die Mehrheit der Einwanderer sind zudem keine

1Asylanten: Wir haben Aussiedler, innerdeutsche Armutswanderung aus dem Osten und Bürgerkriegsflüchtlinge. Und für die Asylsuchenden, egal ob aus politischer Verfolgung oder Armut gilt: Solange die Grenzen nicht mit Stacheldraht versehen werden, wird man sie nicht aufhalten können. Schon heute kommen 90 Prozent illegal über die Grenze.

taz: Ist der Umgang mit Einwanderungswirklichkeit, Grundgesetz und Rassismus nicht typisch für die Politikunfähigkeit der SPD? Motto: Den Parteifrieden halbwegs bewahren, dem Bürger vergeblich hinterherrennen und die wirkliche Problemlösung links liegen lassen?

Mehmel: Die SPD ist heute die einzige Partei, die ein umfassendes Konzept zur Bewältigung des Flüchtlingsproblems vorgelegt hat. Wir fordern ein Einwanderungsgesetz, eine Sonderregelung für Bürgerkriegsflüchtlinge, eine Auslaufgesetzgebung für Aussiedler und Integrationsmaßnahmen. Viele, gerade auch linke Sozialdemokraten haben aber die Hoffnung, eine symbolhafte Änderung von Artikel 16 werde den großen Druck der Öffentlichkeit auf die SPD verringern.

taz: Kurz: Die Hamburger SPD hat das Asylrecht im Kern unangetastet gelassen, wollte aber beim Bürger den gegenteiligen Eindruck erwecken.

Mehmel: Sachverstand spielt in dieser ganzen Debatte leider eine sehr untergeordnete Rolle. Viele in der SPD glauben, durch diese Änderung tatsächlich eine Beschleunigung zu erreichen. Dies geht aber nicht ohne Einschränkung der Rechtswegegarantie in Artikel 19. So kommt die SPD nicht aus der Defensive in der Asyldiskussion heraus. Im Gegenteil: Konservative Kreise können die Schraube immer enger drehen, weil sich herausstellen wird, daß man so keine Lösung des Problems erreicht. Am Schluß fühlen sich all diejenigen bestätigt, die jetzt massiv Ausländerhaß praktizieren. So stoppt man keinen ein-

1zigen Rechtsradikalen. Denen geht es nicht um Asyl, denen geht es um Fremdenfeindlichkeit.

taz: Seit Jahren fordern Sie von der SPD Erneuerung, Demokratisierung und den Willen zu wirklicher Problemlösung. Sie haben frühzeitig das Diätendebakel prophezeit, Sie bekommen recht mit Ihrer Warnung vor den ungelösten Boom-Town-Problemen und war-

1nen jetzt vor symbolischen Grundgesetzänderungen. Was läuft schief bei der SPD?

Mehmel: Die großen Parteien haben das grundsätzliche Problem, sich aufgrund ihrer Strukturen viel zu sehr mit sich selbst zu beschäftigen.

taz: Es gibt einen weitreichenden Vorschlag zur Reform von Parlament und Verfassung durch die Enquete-Kommission. Derzeit erweckt die SPD-Fraktion den Eindruck, auch diesen Reformansatz zu beerdigen.

Mehmel: Ich bin guter Hoffnung, daß die Reform bei der SPD- Fraktion in ihren Grundzügen auf Zustimmung stoßen wird. Die Diskussion in der Partei und die ersten Beschlüsse von Kreisdelegiertenversammlungen zeigen, daß die Chance dieses Reformvorschlags gesehen wird. Natürlich müssen am Ende die Abgeordneten entscheiden - und da kollidieren die Reformvorschläge bei einigen mit ih-

1ren subjektiven Interessen. Da müssen sich manche noch einen Ruck geben.

taz: Sie haben zusammen mit ihrem Parteivorsitzenden Frahm ein Positionspapier geschrieben, das eine Verfassungs-, Partei- und Parlamentsreform als Voraussetzung für eine politische Erneuerung bezeichnet. Ist die SPD dafür schon reif?

Mehmel: Natürlich bin ich optimistisch, sonst würde ich mich nicht dafür einsetzen. Die aktuelle Diskussion in meiner Partei zeigt, daß es einen echten Willen zur Veränderung gibt - dazu kommt die öffentliche Erwartung, daß sich bei der SPD etwas tut.

taz: Die SPD steuert in Hamburg und Bonn auf eine große Koalition zu. Freuen Sie sich darauf, fördert das den Reformprozeß?

Mehmel: Nein. Darauf freue ich mich nicht. Ich glaube nicht, daß wir so die Probleme lösen.

Die Fragen stellte Florian Marten

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