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„Es ist so fürchterlich langweilig!“

■ Alltagskultur in Deutschland ist für die meisten Flüchtlinge ein Fremdwort

„Unsere Intelligenz ist unterfordert!“ Nur selten gelingt es den Flüchtlingen, in den Sammellagern ihren aus Essen und Schlafen bestehenden Alltag aufzulockernFoto: Katja Heddinga

„Freizeit? Oh — frag mich nicht“, sagt der junge Libanese Khalil, „es ist so langweilig.“ Dabei hat Khalil gewissermaßen noch gut reden. Er ist Flüchtling wie die anderen 20 Männer, die sich Samstagnachmittag beim offenen Treff in der Flüchtlingsinitiative Bremen in der Schildstraße getroffen haben, aber er lebt schon seit vier Jahren in Deutschland, beherrscht die Sprache einigermaßen und darf als Aushelfer in einem Sanitäterkurs arbeiten. Er liest arabische

hierhin bitte die Gruppe am Tisch

Bücher, die ihm Freunde bestellt haben, schreibt selber Geschichten und geht ab und zu ins Kino. Ein Zimmer teilt er sich mit seiner rheumakranken Schwester und den Eltern. Über seinen Asylantrag ist immer noch nicht entschieden.

Khalil kommt jedes Mal zum Flüchtlingstreffen. „Ich spreche mit allen hier. Gleich als ich nach Deutschland kam, habe ich mir ein arabisch-türkisch-deutsches Wörterbuch besorgt.“ Und so hilft er ein bißchen als Dolmet

scher aus, wenn sich die Männer aus Bulgarien, der Türkei, aus dem Iran und den schwarzafrikanischen Ländern unterhalten.

Es ist eine angenehme Atmosphäre in dem völlig überfüllten Raum der Flüchtlingsinitiative. Der Kassettenrekorder läuft, Kekse und Schüsseln mit Mandarinen stehen auf dem großen Tisch, Tee und Kaffe werden ausgeschenkt und die Männer unterhalten sich ruhig. Flüchtlingsfrauen sind nicht dabei: „Die bleiben fast immer in den Unterkünften, selbst zu Deutschkursen lassen viele Ehemänner ihre Frauen nicht raus. Die Frauen tun mir sehr leid“, sagt die Psychologin Gabriele, die zehn Stunden in der Woche ehrenamtlich in der Initiative arbeitet.

Die Flüchtlingsinitiative Bremen hat sich 1991 gebildet aus Mitgliedern verschiedener Dritte-Welt- und ImmigrantInnengruppen, und VertreterInnen aus Kirchengemeinden. Es sind in erster Linie Frauen, die Deutschkurse und Beratungstermine für Flüchtlinge anbieten und sich verstärkt um ein kulturelles Freizeitangebot für die aus allen ihren Lebensbezügen gerissenen Asylsuchenden kümmern wollen. Im offenen Treff werden Videos gezeigt und gemeinsam gekocht. Manchmal gibt es Vorträge, zum Beispiel über Aids, und gerade hat ein Beratungstermin für die Nutzung von Bibliotheken stattgefunden. Am schwarzen Brett hängt ein dreisprachiger Zettel: „Wer will im Malerei und Plastizierkurs mitmachen?“

Mit der sogenannten „Freizeitgestaltung“ sieht es für die in Sammellagern lebenden Menschen düster aus. „Unsere Intelligenz ist unterfordert“ sagt der französischsprechende Schwarzafrikaner Mampassi, der seit sechs Monaten mit hundert anderen Menschen in der Turnhalle der Schule am Barkhof lebt. Dort gibt es nur einen defekten Fernseher, der 2 Stunden am Tag laufen kann, und ständig Streiterein über das sowieso für die meisten unverständliche deutschsprachige Programm. Und Jacimo aus Togo ergänzt: „Unser Leben besteht aus Essen und Schlafen und Schlafen und Essen“.

Jacimo möchte gerne lesen, aber er weiß nicht, wie er an englische und französische Bücher herankommt. Oskar aus Zaire steht erst mittags auf, um durch Träumen der schrecklichen Langeweile zu entgehen. Und der Bulgare Marin, der ab und zu wagt, in der Barkhof-Turnhalle auf seinem Keyboard zu spielen, reizt damit seine Umgebung zu wütend-genervten Reaktionen. „Niemand will das hören“ übersetzt Khalil, „alle wollen ihre Ruhe haben.“

Fehlende Sprachkenntnisse, fehlendes Geld (150 Mark bekommen die Flüchtlinge in den Erstunterkünften), fehlende Kontakte und vor allem das ständige, unruhige Gedankenkreisen um die Bewilligung des Asylantrages und einer Arbeitsmöglichkeit bewirken, daß es für die Flüchtlinge eine Alltagskultur kaum gibt. „In Togo habe ich in einer Gruppe gespielt“, erzählt Samuel, „aber hier bin nicht in der Stimmung, meine Gitarre zu spielen“.

Gabrielle, Gerhild vom DAB, Sybille und Mass, der afrikanische BSHG 19-Mitarbeiter der Initiative besuchen regelmäßig die einzelnen Sammellager in Bremen, informieren über die Deutschkursangebote und weisen auf den Treffpunkt in der Schildstraße hin. Die Initiative bittet alle BremerInnen nicht nur um Spenden (die Hauptfinanzierungsquelle), sondern auch um Bücher in allen Sprachen, alte Fernseher und Videogeräte und um Wohnungs- und WG-Angebote.

Cornelia Kurth

Info: Flüchtlingsinitiative, Schildstraße 28, Tel.: 705775.

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