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Probleme verschweigen ist unglaubwürdig

In den Flüchtlingsheimen in Spandau und Kladow bemüht man sich um friedliches Zusammenleben, ohne die Konflikte bei der Unterbringung verschiedenster Ethnien zu verschweigen  ■ Von Anita Kugler

Morgens um 10 Uhr schrillt im „Aus- und Übersiedlerheim“ in der Spandauer Stadtrandstraße die Alarmanlage, und aus einigen Fenstern der zweistöckigen Häuser quillt Rauch. Peter Robek, der Heimleiter, reagiert gelassen. Er ruft nicht die Feuerwehr, sondern schaltet die Warnanlage aus. Das passiere jeden Morgen, sagt er, denn viele der hier provisorisch untergebrachten bosnischen Kriegsflüchtlinge bereiten ihren Morgenkaffee so, wie sie es aus ihrer Heimat gewohnt sind. Die rohen Kaffeebohnen werden erst zerstampft, und die Krümel auf der Pfanne geröstet. Die dabei entstehende gewaltige Rauchentwicklung setzt dann die Alarmanlage in Betrieb, und der Heimleiter weiß: Für etwa 300 Flüchtlinge, die Mehrheit davon Roma, beginnt jetzt ein neuer Tag.

Mehr als die Kaffeebohnen auf den Teflonpfannen irritieren Robek aber andere Eigenheiten der Gäste aus dem Balkan. So werde das Brot nicht auf Blechen, sondern auf Ziegelsteinen im Herd gebacken. Das schmecke zwar gut, ruiniere aber die Öfen. Und am „befremdendsten“ sei die Vorratshaltung, klagt er. Um Geld zu sparen, kaufen die Roma-Sippen die Lammkoteletts nicht beim Fleischer, sondern ganze Tiere von brandenburgischen Bauern. Die getöteten Lämmer werden dann am Stück in die Gemeinschaftskühlschränke des Heimes gestopft und fangen dann – weil nicht abgehangen oder tiefgefroren – nach einigen Tagen an, tierisch zu stinken. Das seien Alltagsprobleme in einer „multikulturellen Zwangsgemeinschaft“, sagt Robek. Und kommen dann noch Kinderlärm, laute Musik, temperamentvoll ausgetragene Streitereien und unsaubere Toiletten hinzu, dann entstehen eben innerhalb des Heimes Friktionen. Die schärfsten zwischen den sauberkeits- und ordnungsbewußten Aussiedlern aus Rußland und den nomadisierenden Roma aus den bosnischen Bergen. „Wer Toleranz nur predige, ohne eine Ahnung der normalen Schwierigkeiten zu haben, ist unglaubwürdig“, sagt Robek. Der Heimleiter jedenfalls will jetzt einen großen Gefrierschrank besorgen, den Putzdienst rigider organisieren und mit Hilfe der Roma- Union eine Kinderbetreuung auf die Beine stellen.

„Seit die Roma bei uns leben“, sagt die Leiterin des „Aus- und Übersiedlerheims“ in Kladow, Gabrielle Minz, haben die Übersiedler und die deutsch-polnischen Aussiedler ihr „Aufstiegsbewußtsein“ endeckt. Viele finden plötzlich Wohnungen, es fände eine „soziale Umschichtung“ statt. Von den 600 Personen, die derzeit in der „Blauen Lagune“ am Kladower Damm leben, stammen nur noch 67 aus der DDR und Polen. Die moderne, erst im Frühjahr 1990 eingeweihte Anlage, die den schönen Namen wegen ihrer schmucken und meerblau gestrichenen Holzhäuser trägt, ist inzwischen ein Ort für Asylbewerber, sogenannte Dulder und Kriegsflüchtlinge. Fast die Hälfte der Bewohner sind Araber aus dem Libanon und Palästina, dazu noch einige Russen und Bulgaren, die Mehrheit aber sind Bosnier, Kroaten und Serben. Von diesen Ex-Jugoslawen sind wiederum fast zwei Drittel Roma. „Natürlich haben wir große Integrationsschwierigkeiten mit einigen von ihnen“, sagt Gabrielle Minz, aber man solle doch auf dem Teppich bleiben und nicht immerzu die ganze Volksgruppe verteufeln. „Ich vergleiche unsere Situation immer mit den Problemen in einer Hochhaussiedlung wie dem Märkischen Viertel.“ Dort gebe es auch Krach. „Die Leute hier unterscheiden sich in ihrem Sozialverhalten nicht von Leuten, die 3.000 Mark im Monat verdienen, sie haben nur weniger Möglichkeiten, sie auszuleben.“ Die promovierte Psychologin setzt daher auf Kooperation und hat dabei ungewöhnliche Wege beschritten.

Im Sommer, drei, vier Monate nachdem die Roma kamen, drohte das bislang ausländerfreundliche Klima in Kladow umzuschlagen. Fahrräder verschwanden vor den Supermärkten; Autos wurden aufgeknackt; Romafrauen bettelten aggressiv bei der Dampfer-Anlegestelle; der Park entlang des Wannsees, die Grünanlagen um die Zentrale des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) und die Vorgärten von Kladower Villenbesitzer wurden als Fäkaliengruben und Müllablageplätze mißbraucht, Rot-Kreuz-Kleidertüten aufgerissen, und gelegentlich prostituierten sich Romafrauen für wenige Märker auf dem Gelegenheitsstrich. Dauernd kam die Polizei, und aufgebrachte Anwohner drohten, dem „Zigeuner-Spuk“ eine Ende zu bereiten. In dieser Situation organisierte Gabrielle Minz ein „Rundgespräch“ zwischen dem DED, Villenbesitzern, Mitarbeitern des Landessozialamtes, Bezirkspolitikern, und der Bauer von nebenan war auch dabei.

Das De-Eskalationsgespräch erwies sich als Erfolg, die „Situation habe sich entspannt“, meint die Initiatorin Minz. Wichtigste Maßnahme: Das LaSoz finanziert seit zwei Monaten einen Sozialbetreuer, der ihnen von der Roma- Union Berlin vermittelt wurde. Zwar arbeite der Betreuer nur stundenweise, aber immherhin doch lange genug, um seinen Leuten die Leviten zu lesen und die Hausordnung zu erklären. Seit er da ist, werden die Mülltüten meistens in die dafür vorgesehenen Container geworfen und auch weniger Lebensmittel als zuvor aus den Tonnen der Nachbarschaft gegrabbelt. Endgültig gelöst sei auch noch nicht das Fäkalienproblem, aber Goodwill zeige sich allerorten. Der Hausmeister des DED will nicht darüber sprechen, aber der ganze Entwicklungsdienst weiß: still und heimlich sammelt er täglich die Häufchen auf und entsorgt sie klaglos. Und neulich kam ein Imker aus der Nachbarschaft, der schenkte jedem Flüchtling, ob Roma oder Russen, ein Gläschen Honig. Das ist Zuwendung, auch ohne die großen Worte von Solidarität und Ausländerfreundschaft.

Gabrielle Minz sind große Worte sowieso nicht geheuer. Ihr Beitrag gegen Rassismus und Ausländerfeindschaft ist der Versuch, Probleme präventiv zu lösen. So hat sie, nachdem die Klagen über Fahraddiebstähle nicht abrissen, sämtliche Fahrräder des ganzen Heimes eingesammelt und „eine ganze Menge“ wieder vor den Kaufladen Bolle gestellt. Mit ähnlichen unangemeldeten Aktionen können die Heimbewohner jederzeit wieder rechnen, sagt sie. Seit sie den Parkplatz im Heim für die Privatautos der Bewohner gesperrt hat, komme auch die Polizei seltener, um eventuell gestohlene Autos zu suchen. Die können dann nämlich gleich von der Straße weg abgeschleppt werden, die Maßnahme habe also strafvorbeugend gewirkt, meint sie.

„Wer die Ausländer immer nur als Opfer sieht, fördert den Rassismus.“ Das ist die feste Überzeugung einer Frau, die seit zwei Jahren jeden Tag zwölf Stunden mit Nichtdeutschen zu tun hat. „Die Achtung vor den Anderen ist, gemessen an unseren Maßstäben, vor allem bei den Roma unterentwickelt.“ Ihr Umgangston sei „gelinde gesagt, äußerst rüde“. Sie hat gelernt, die sexistisch verbalen Männerangriffe gegen die „Frau Heimleiterin“ mit Verachtung zu strafen. Die Streitigkeiten zwischen Roma und anderen Kriegsflüchtlingen, Arabern sowie Aus- und Übersiedlern über Küche, Kinder, Waschmaschinen, Duschen und Ruhezeiten versucht Gabrielle Minz durch eine Belegung der acht Häuser nach Nationalitäten zu minimieren.

Es leuchtet ihr überhaupt nicht ein, warum Asylbewerber die schon länger als ein Jahr auf ihr Verfahren warten, nicht arbeiten sollen. „Niemand darf hängen gelassen, aber auch niemand in eine Nehmerhaltung gezwungen werden.“ In Kladow, erzählt Frau Minz, gäbe es Dutzende, die schwarzarbeiten, weil ihnen die Arbeitserlaubnis nach Antrag verweigert wurde. „Ich kann doch von Leuten, die ihren Überlebenswillen durch die Flucht nach Deutschland bewiesen haben, auch etwas verlangen.“ Wenn sie Bundeskanzlerin wäre, dann würde sie die Asylproblematik als einen Teil der Entwicklungshilfe verstehen und viele der Menschen, deren Anträge mit Sicherheit abgelehnt werden, für einen in der Heimat nützlichen Beruf qualifizieren.

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