: Das Grundrecht ist nicht kompromißfähig
■ Eine Einigung der SPD mit der Union ist nicht in Sicht, da die SPD auf dem Individualrecht besteht
Der von der sogenannten „Antragskommission“ vorgelegte Text zur Asylfrage ist weithin als erfolgreicher innerparteilicher Kompromiß und sogar als ein Schritt zu einer Einigung zwischen SPD, FDP und zumindest CDU (wenn schon nicht CSU) beurteilt worden. Dabei ist nicht ersichtlich, wieso! In den beiden zentralen verfassungsrechtlichen Fragen — individuelles Grundrecht auf Asyl und Rechtsweggarantie — gibt es nur ein klares Ja oder Nein, aber keinen irgendwie gearteten Kompromiß (und damit natürlich auch keinen „Verhandlungsspielraum“ für die SPD-Bundestagsfraktion). Entweder die CDU muß ihren Standpunkt aufgeben oder die SPD.
Bei den ursprünglichen Petersbeger/Salzufelner Beschlüssen der SPD-Parteiführung war das noch anders. Sie hielten zwar dem Wortlaut nach am individuellen Grundrecht auf Asyl fest, wollten aber Asylbewerber aus „Nichtverfolgerstaaten“ (die in sogenannten „Länderlisten“ aufgeführt worden wären) sowie noch einige andere Bewerbergruppen von vorneherein vom Verfahren ausschließen; die Rechtsweggarantie wurde in diesen Beschlüssen überhaupt nicht erwähnt. Die „erforderlichen Änderungen und Ergänzungen der Verfassung“ waren nicht näher umschrieben. In ihrer Lückenhaftigkeit, Unbestimmtheit und Widersprüchlichkeit boten diese Beschlüsse in der Tat eine geeignete Grundlage für weitreichende „Kompromisse“, auch in der Frage von Grundgesetzänderungen.
Diese Möglichkeiten bestehen nach dem neuen Text nicht mehr:
–Das individuelle Grundrecht auf Asyl und die Rechtsweggarantie werden eindeutig und unmißverständlich festgeschrieben.
–Der Ausschluß ganzer Bewerbergruppen (und damit auch die Einführung verbindlicher „Länderlisten“) sind als das erkannt worden, was sie immer waren: als rechtlich unzulässig.
–Eine Beschleunigung und Vereinfachung des Asylverfahrens – von allen Strömungen der Partei als dringend nötig beurteilt – ist nur „unter Beachtung“ von Individualgrundrecht und Rechtsweggarantie zulässig – nach fast einmütiger Auffassung aber auch möglich.
–Eine Ergänzung des Art.16. II2 GG, dessen Wortlaut unverändert erhalten bleiben soll, ist nur in den folgenden drei Fällen denkbar:
–Definition des Tatbestands der politischen Verfolgung gemäß Kapitel I, Art. 1A der Genfer Flüchtlingskonvention. Dadurch wird der Kreis der Asylberechtigten übrigens eher erweitert als eingeschränkt.
–Anerkennung der Asylentscheidungen anderer europäischer Staaten, die sich inhaltlich an die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention halten, einschließlich der Nachprüfung getroffener Entscheidungen durch eine weisungsunabhängige Instanz.
–Abschiebung von Asylbewerbern, die aus einem der genannten europäischen Staaten kommen oder anderswo bereits Schutz gefunden haben, in eben jene Staaten, aus denen sie kommen.
Über diese drei Fälle hinausgehende Änderungen des Art. 16 GG werden durch den Beschlußvorschlag der Antragskommission nicht gedeckt.
Mit diesem Antragstext wird der Kern der gesamten bisherigen Diskussion um eventuelle Verfassungsänderungen in der Asylfrage offengelegt: Eine Sonderung der wirklich politisch Verfolgten von den übrigen Zuwanderern läßt sich durch Gesetz, Verordnung und vernünftige Praxis erreichen, ohne daß dafür das Grundgesetz wesentlich geändert werden müßte. Es gibt nur eine einzige Art der Grundgesetzänderung, die die Zahl der Asylbewerber wirklich drastisch verringern würde: die Abschaffung des individuellen Grundrechts mit Rechtsweggarantie und seine Ersetzung durch eine sogenannte „institutionelle Garantie“, das heißt durch eine gesetzlich (nicht jedoch grundgesetzlich) geregelte Ermessensentscheidung der Regierung ohne Rechtsweg. (Überdies müßte wegen der in ihr enthaltenen vielfältigen Schutzbestimmungen für Flüchtlinge auch die Genfer Flüchtlingskonvention gekündigt werden.) Dies will die große Mehrheit der SPD nicht und kann es eigentlich auch nicht wollen. Denn was eine solche Regelung in den Händen einer konservativen Regierung gerade für wirklich politisch Verfolgte bedeuten könnte, läßt sich leicht ausmalen. Wenn wir uns der zynischen Genugtuung der CDU/CSU (rühmliche Ausnahmen: Norbert Blüm und Heiner Geißler) über den Putsch gegen die Regierung Allende im Herbst 1973 in Chile erinnern: Wie viele der verfolgten Sozialisten, Kommunisten und Revolutionäre würden wohl in einem unionsregierten Deutschland ohne das individuelle Grundrecht auf Asyl Zuflucht gefunden haben?
Wird der vorgelegte Text zur Asylfrage inhaltlich unverändert verabschiedet, dann gibt es in der Verfassungsfrage nur noch zwei Möglichkeiten für einen „Kompromiß“ zwischen CDU und SPD:
–Entweder die CDU übernimmt die Position der SPD (wie wahrscheinlich das ist, lasse ich offen)
–oder die Bundestagsfraktion der SPD oder ein ausreichend großer Teil von ihr weicht vom Parteitagsbeschluß ab und stimmt mit der CDU. Dies ist höchst unwahrscheinlich, denn es widerspricht allen sozialdemokratischen Traditionen. Überdies wäre gegen den innerparteilichen Sturm, der sich dann erheben würde, der bisherige Streit ein sanftes Säuseln gewesen.
Rückblickend muß gesagt werden: Das jetzt vorliegende Ergebnis der innerparteilichen SPD-Diskussion wäre durch rechtzeitige sachliche Klärung der Probleme auch einfacher zu haben gewesen. Sollte die Parteiführung freilich in der Asylfrage andere und weiterreichende Ziele gehabt haben, als sie sie jetzt erreicht hat, dann wäre sie damit gescheitert. Es gibt keine „Wende“ . Und auf dem „Weg nach rechts“ wird die SPD nicht mitmarschieren. Peter von Oertzen
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