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Den Autowahn begreifen lernen

■ Die Ausstellung „Schöne Autowelt“ zeigt Umweltzerstörung

Kreuzberg. Gibt es zum Thema Auto noch etwas zu sagen? Offenbar ja. Vergangenes Wochenende eröffnete die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) im Museum Kreuzberg ihre Ausstellung „Schöne Autowelt“. Auf zwei Etagen geht es um die Folgen des Automobils. In der oberen mit dem Mittel der Fotografie, in der unteren mit Hilfe von Graphiken und Plastiken.

Den Weg in die obere Etage kann sich derjenige schenken, der Neues erfahren möchte. Dort werden Schwarzweißbilder aneinandergereiht, die langweilen, weil sie jeder zur Genüge kennt: Rad- und Fußwege, die durch parkende oder fahrende Autos blockiert sind, Bilder vom „Rettungseinsatz“ und „Unfall-Fotos“. Unter dem Titel „Überlebt“ werden Unfallopfer vorgestellt, die in nebenstehenden Texten zu Wort kommen. Nur an der Geschichte von dem 31jährigen Holger Seidler bleibt man hängen, weil man ahnt, daß in der „Schönen Autowelt“ die Menschheit nicht nur in die beiden Gruppen Opfer und Täter dividiert werden kann.

Ein Lastwagenfahrer nahm Seidler vor fünf Jahren die Vorfahrt. Seidler schleuderte mit seinem Wagen auf die Gegenfahrbahn. Ein Foto konfrontiert mit den Folgen: Seidler sitzt seit 1987 im Rollstuhl. Bis zu dem Unfall war der damals 26jährige selbst Autofahrer. Er verdiente sein Geld als Berufskraftfahrer bei der Berliner Stadtreinigung. Die Aussteller thematisieren den von der Autogesellschaft produzierten Widerspruch nicht, daß die „Schöne Autowelt“ aus einem Menschen Täter und Opfer zugleich macht. Eine einzige Fotografie paßt nicht in das Bild des stinkenden, Krach machenden, im Stau stehenden Automobils: „Wochenend und Sonnenschein“ von Gerd Pfeiffer. Die Reihe hintereinander fahrender, auf Hochglanz gebrachter Cabriolets aus den 60er Jahren verrät, daß es unter einer Bromsilberschicht, die das Auto nur als das Böse schlechthin abzubilden vermag, etwas Gutes geben muß.

Was den Fotografen oben nicht gelingt, wird im unteren Stockwerk geleistet: die Oberfläche durchbrechen. Auspuffrohre quetschen sich durch eine Holzplatte, auf der der Bezirk Kreuzberg als Karte wiedergegeben ist. Auch wenn die Nachricht schlecht ist – die Rohre stellen in der jeweils von ihnen durchstoßenen Straße den Grad der Luftverschmutzung dar –, tut es gut, die Plastik anzusehen. Endlich kann man wahrnehmen, was sich sonst im Zahlendschungel von Grenzwerten und Mikrogramm so gut verstecken läßt.

Dasselbe ist den Künstlern bei der Darstellung des Asphaltfraßes, der Unfallzahlen, des Lärms und der Verkehrsdichte gelungen. Im allgemeinen kennt man zwar die Folgen des Individualverkehrs, doch in der konkreten Veranschaulichung steckt die Dramatik – das Begreifen des Autowahns in Kreuzberg. Dirk Wildt

„Schöne Autowelt“, bis 15.1. 1993 im Kreuzbergmuseum, Adalbertstraße 95, außer Mo. täglich 14 bis 18 Uhr, Eintritt frei.

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