: Sitzung ohne Redner
■ Nach Bubis sagt nun auch Genscher ab
Nach dem mehrtägigen öffentlichen Streit zwischen SPD und CDU steht der Niedersächsische Landtag vorerst ohne Redner für seine im Januar geplante Sondersitzung da. Sie soll aus Anlaß der nationalsozialistischen Machtübernahme vor 60 Jahren am 29. Januar im Leineschloß in Hannover stattfinden. Zwei Tage nach dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, sagte nun auch der Ex-Außenminister Genscher ab.
Aus „terminlichen Gründen“ stehe er nicht zur Verfügung, teilte sein Bonner Büro mit. CDU-Fraktionschef Jürgen Gansäuer hatte vorige Woche ohne Absprache Genscher öffentlich als Redner vorgeschlagen, während der SPD-Fraktions-und Landesvorsitzende Johann Bruns eine jüdischen Redner favorisierte.
Landtagspräsident Horst Milde (SPD) unternahm am Donnerstag den Versuch, die geplante Sondersitzung noch zu retten und bat sowohl Bruns als auch Gansäuer zum Gespräch. Bruns hatte der CDU nach dem öffentlichen Vorstoß mit der Nennung Genschers vorgeworfen, sie wolle offenbar „keinen Juden im Landtag reden lassen“ und sei „latent antisemitisch“. Diese Auseinandersetzung veranlaßte Bubis am Dienstag, seine mündliche Zusage an Bruns zurückzuziehen. Der SPD-Politiker hatte ihm tags zuvor den öffentlich ausgetragenen Streit verschwiegen.
Nach dem Gespräch mit Milde veröffentlichte der Landtag eine mit Bruns und Gansäuer abgestimmte Erklärung. Danach sind „Kommunikationsprobleme“ für die Kontroverse verantwortlich. Gansäuer habe das bei Bruns entstandene „Mißverständnis“, man habe einen jüdischen Redner verhindern wollen, klargestellt. Bruns habe seine Vorwürfe gegen die CDU daraufhin als „gegenstandslos“ erklärt. Gansäuer hatte am Mittag Bruns aufgefordert, sich bei der CDU öffentlich zu entschuldigen.
Die beiden Fraktionsvorsitzenden bedauerten „den negativen Eindruck“, der in der Öffentlichkeit entstanden ist. Sie baten den Landtagspräsidenten, die Vorbereitung für die Sondersitzung weiterzuführen. Wie es hieß, hatte Milde zwischenzeitlich erwogen, die Sitzung ganz abzusagen. Milde hofft, daß der Landtag nun doch noch in der Lage ist, den 60. Jahrestag der NS-Machtübernahme „würdig zu begehen“. dpa
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