: Unterm Strich
„Sehr geehrte Damen und Herren“, schreibt uns das Schauspiel Leipzig. „Hiermit bitten wir aus gegebenen Anlaß folgende Pressemeldung zu publizieren: Mit Bravo-Rufen und stehenden Ovationen wurde am Wochenende die Uraufführung des Tanzstücks 'JULIE' von Irina Pauls gefeiert. Die Existenz des Tanztheaters im Schauspiel Leipzig ist durch die bevorstehenden Sparmaßnahmen gefährdet.“ Und freundlich grüßt die Pressedramaturgin, während wir uns fragen, woran da bevorstehend gespart werden soll. An stehenden Ovationen ja wohl jedenfalls nicht.
Weiter im Tanz: Das Bild „Großvaters Tanzunterricht“ des Tiroler Genremalers Franz von Defredder ist am Mittwoch für umgerechnet 386 000 Mark versteigert worden - der höchste Preis, der jemals für ein Werk des Künstlers gezahlt wurde. Das wollen wir glauben! Doch fragen wir nicht, wer Franz von Defredder war, regen wir lieber Gutes an: Schenkung des Großvaters ans Leipziger Tanztheater!
Nun aber rasch wieder ein Blick in die Post. Wer oder was ist Thearchie? Nicht, daß wir uns das immer schon gefragt hätten, aber nun wird uns Antwort zuteil: Es handelt sich nämlich um „Die Göttliche Herrschaftsfreiheit“, und sogleich wird uns klar, daß wir uns danach doch schon früher hätten erkundigen sollen! Hat uns Herrschaftsfreiheit doch immer schon mehr als alles andere gelegen, und daß sie nur göttlich sein kann, schwante uns doch. Begierig folgen wir den weiteren Definitionen, bis wir auf unser liebstes Thema stoßen: „Thearchie und Sex“! „Ist das Leben erst einmal ein immerwährender Gottesdienst“,lesen wir da, so bekommt alles seine Erotik. Diese Erotik ist sichtbar in der Ästhetik der Natur, der Blumen, der Gesichter, des Grases...Sexualität wird in diesem Zusammenhang befreit gelebt und zu einem heiligen Akt. Sexualität wird weder verdrängt noch zu einem übertriebenen Wahn.“ Wir atmen auf und atmen durch. Denn die eigentliche Botschaft birgt, wie immer, der letzte Satz, und der heißt: „Sex ist etwas Natürliches.“ Zu den Thearchen, oh, zu den Thearchen!
Brutal, wie wir bei aller Natürlichkeit nun mal sind, kommt heute die schlechte Nachricht zum Schluß. „Der Keiser wird künftig nicht im Bot sitzen, um das der Hei drumherumschwimmt.“ Ha! Von wegen Al, künftig heißt's wieder Aal, Mai heißt es und eben nicht Mei, klare Sache und damit hopp! Fiese Scherze? Oh nein, Rechtschreibreform. Was daran das Reformierte sein soll? Na, wahrscheinlich wohl das Ende der göttlichen Herrschaftsfreiheit. Das gilt, wenn die Reformer sich durchsetzen, ab 1995. Aber, um die Brutalität aufgrund der uns angeborenen Herzensgüte etwas zu mildern: bisher hat noch keine Rechtschreibreform im deutschen Sprachraum sich durchsetzen können, seit Duden die Regeln festlegte. Also munter weiter so: Der Hei ist gekohmen, der Keiser bleibt im Bot!
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