: Von Portugal verlassen, von Indonesien geschluckt
■ Ost-Timors geraubte Unabhängigkeit/Neue Verhandlungen unter UN-Aufsicht
In dem kleinen südostasiatischen Land Ost-Timor spielt sich eines der letzten Dramen europäischer Entkolonisierung ab. Nachdem Portugal das Land vier Jahrhunderte lang verwaltet hatte, verließ es die Kolonie 1975 abrupt. Sein Abzug machte den Weg frei für eine brutale indonesische Invasion. amnesty international schätzt, daß dort seither mindestens 200.000 Menschen ums Leben gekommen sind. Die UNO betrachtet Portugal bis heute als legale Verwaltungsmacht, die indonesische Annexion wird international nicht anerkannt.
Die Halbinsel Ost-Timor hat, nach einer Erhebung von 1975, rund 650.000 Einwohner, die schon vor und auch während der portugiesischen Kolonisierung eine eigene kulturelle Identität hatten. Umgangssprache ist Tetum, die indonesische Staatssprache Bahasa Indonesia hingegen wurde vor der Invasion nicht gesprochen.
1949, als Indonesien von Holland unabhängig wurde, akzeptierte die Regierung Sukarno die kolonialen Grenzen, auf die sich Portugal und die Niederlande 1904 geeinigt hatten. Die portugiesische „Nelkenrevolution“ 1974 dann wurde für Ost-Timor zum Desaster: die Konfusion in der Metropole führte dazu, daß Portugal das Land überstürzt aufgab. Heute wird oft vergessen, daß die Portugiesen in den 15 Monaten nach der Revolution und vor ihrem Abzug mit einem Entkolonisierungsprogramm begannen, das die Bildung von timorischen Parteien und Wahlen auf Dorfebene vorsah – doch erhielt Lissabon dabei kaum internationale Unterstützung.
Um sein Versagen wieder auszubessern, hat sich Portugal seit Anfang der 80er Jahre zusammen mit der UNO für das Selbstbestimmungsrecht Ost-Timors stark gemacht. Doch die internationale Gemeinschaft stellte ihre geschäftlichen und strategischen Bindungen zu Indonesien über Menschenrechtsprinzipien – und das, obwohl es massive Beweise für willkürliche Verhaftungen, Hinrichtungen und Folter gab. Und als Portugal nach dem EG-Beitritt 1986 der indonesische Regierung erstmals EG- Sanktionen androhte, erntete die Regierung in Lissabon den Vorwurf, sie trage strittige Themen in die Gemeinschaft. Inzwischen jedoch unterstützt die Außenpolitik der EG die Forderung nach Selbstbestimmung für Ost-Timor.
Zu einer weiteren Wende kam es vor einem Jahr: Portugals sozialdemokratische Regierung hatte durchgesetzt, daß eine Parlamentsdelegation die Lage vor Ort inspizieren dürfte. Vereinbart war, daß sie mit Bürgern und Guerillaführern in Ost-Timor sprechen sollte, begleitet von Journalisten ihrer Wahl. Doch im letzter Minute untersagte die indonesische Regierung die Gegenwart von Journalisten, daraufhin lehnte Portugal den Besuch ab. Aus Protest und Enttäuschung gingen in Ost-Timor Studenten auf die Straße. Indonesische Truppen schossen sie kaltblütig nieder, es gab 200 Tote. Ein Fernsehteam filmte das Massaker und führte der Welt damit das Problem vor Augen.
Der neue portugiesische Außenminister Durao Barroso soll nun seinen indonesischen Kollegen am 17. Dezember in New York treffen, um die Gespräche über Ost-Timors Zukunft unter Leitung des UN-Generalsekretärs fortzuführen. Mit einer schnellen Lösung rechnet niemand, doch immerhin: das Klima hat sich gewandelt. So ist vielleicht doch zu hoffen, daß Ost-Timor innerhalb einiger Jahre sein Selbstbestimmungsrecht erhalten wird. Jill Jolliffe
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