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Der Inquisitor

■ Roger Willemsen macht Andrzej Szczypiorski sprechen

Mit der S-Bahn am Rosenheimer Platz angekommen, gab es ein Spießrutenlaufen entlang vornehmlich junger Menschen, die einem alle kleine Schilder „Karte gesucht“ und hoffnungsvolle Gesichter entgegenhielten. Nein, nicht nach Roger Willemsen, dem frisch mit dem Bayerischen Fernsehpreis gekürten Starmoderator, und Andrzej Szczypiorski, dem Autor der „Schönen Frau Seidenmann“, stand ihr sehnliches Verlangen, sondern selbstverständlich nach der schönen Jessey Norman und Straussens vier letzten Liedern für Sopran und Orchester – dem seit eineinhalb Jahren ausverkauften 3. Sonderkonzert der Münchner Philharmoniker. Dazu kamen die Bayerischen Büchertage (nicht nur die Uhren gehen anders in Bayern, sondern auch die Bücher?), um das Gedränge im backsteinernen Kulturbau des Gasteig vollständig zu machen.

Auch Willemsen im Carl-Orff- Saal war so gut wie ausverkauft. Zu erfahren war im Gespräch um Kultur und Literatur, daß auch in Polen die Bücher anders gehen als anderswo. Zumindest beharrte der geladene Gast darauf, Nachsicht mit den Fremden zu üben und Kritik den Polen vorzubehalten. Ist das eine Form von Nationalismus? Steht den Deutschen der gleiche Patriotismus zu wie den Polen, fragte Willemsen, und Szczypiorski antwortet schlicht: nein. Das war schon gegen Ende des Gesprächs, mit dem eine Reihe begann, „Kultur im Gespräch“, zu der bildende Künstler, Filmemacher, Theaterleute und was man sich sonst noch unter Kulturschaffenden vorzustellen hat eingeladen werden.

Wem der Kabelkanal „Premiere“ trotz „Fenster“ zu den Nicht-Verkabelten bislang gewissermaßen ein Buch mit sieben Siegeln blieb und der „beste Mann im deutschen Fernsehen“, der „Glücksfall eines deutschen TV- Moderators“, wie die Presse Willemsen die Lobeshymnen singt, darin weggeschlossen, dem sollte durch diese Veranstaltung wohl aus der Bredouille geholfen werden.

Willemsen ist mehr Inquisitor denn Gesprächspartner. Gibt es so etwas wie einen reizenden, liebenswürdigen, klugen und hilfsbereiten (nein, nicht Groß-)Inquisitor? Der seinem Gegenüber viel Platz verschafft, sich artikulieren zu können, aber auch, sich artikulieren zu müssen. Aufmerksam-abwartende Freundlichkeit ist Willemsens Methode, den Geständniszwang in Gang zu bringen. Wie der Staatsanwalt hält er die Akten bereit, in Form von Kritikerzitaten, um Andrzej Szczypiorski zur Aussage zu bringen. Der läßt sich das gerne gefallen und nimmt nicht nur Marcel Reich-Ranickis Feststellung, er, Szczypiorski, sei Katholik, auf, sondern auch des Meisters Akzent. Und auch dessen Kunst der Selbstdarstellung ist ihm durchaus geläufig. Pausen, ein kleines, winziges, aber unübersehbares Getrommel mit den Fingern auf dem Tisch – und mit Wucht setzt die Suada wieder ein. Er sei nicht, wie Ulrich Greiner es in der Zeit darstellte, Jude. Das Mißverständnis, daß ein Pole, der freundlich und engagiert über polnische Juden schreibt, selbst nur einer sein kann, das stecke in der deutschen Stimmung. Die polnische Stimmung sei nicht antisemitisch, aber sie sei gegenüber antisemitischen Äußerungen gleichgültig. Willemsen will Szczypiorski provozieren, den Deutschen die Leviten zu lesen, wegen Rostock und Asylrechtsdebatte, aber der will nicht so recht. Der Rechtsradikalismus entwickle sich am Rande der deutschen Gesellschaft, insofern erschiene er ihm, Szczypiorski, nicht bedrohlich. Bedrohlich erscheine ihm mehr die Passivität der deutschen politischen Schicht. Großer Beifall.

Was, wenn Willemsen einen weniger eloquenten Gesprächspartner hat? Darauf darf man eigentlich erst gespannt sein. Denn dann würde deutlicher als an diesem Abend, wie Willemsen sein Gegenüber ins Gespräch ver-, seine Moderation entwickelt; wie seine Provokationen ankommen, sein kurz gefaßtes, trockenes Ein- und Nachhaken den Gesprächsverlauf irritiert; wie die Qualitäten, die seinen Ruf ausmachen, der bislang immer noch geheimnisvoll unveröffentlicht ist, eigentlich beschaffen sind. Brigitte Werneburg

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