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Politische Selbst-Porträts

Adrian Piper im Münchner Kunstverein  ■ Von Jochen Becker

Vorschnell und mit vorauseilendem Blick auf Modebewegungen der New Yorker Galerienszene wird von einigen schon das „Ende der politischen Kunst“ proklamiert, wo doch gerade in Deutschland den sich überstürzenden (tages-)politischen Ereignissen ein handelndes, begriffliches und künstlerisches Vakuum gegenübersteht. Bestes Beispiel dafür ist die über weite Strecken haltlos schwammige Debatte um das Künstlerduo „Art in Ruins“ vs. die Zeitschrift 241, wobei die Produzenten der skandalösen Zeitschriften-Karikatur selbst den erzeugten Pressewirbel noch vermarkten, indem sie die gesammelten Artikel feilbieten. So als gäbe es im Ernst eine reale Wahlmöglichkeit zwischen Zynismus und Position, zwischen feinem Akademismus und Aktivismus, zwischen schicker Dissidenz und Widerspruch, konzentrierte sich die Debatte aufs Beleidigtsein von „Art in Ruins“, kaum jedoch auf den am Magazin 241 durchaus ablesbaren Dandy- Rassismus.

„The HA Club“ überschrieb Adrian Piper 1980 ihr „Political Self-Porträt =// 1“ und bezieht sich dabei auf den „Hate Adrian Club“, welchen ihre Mitschüler und -schülerinnen in Harlem gründeten. Die einen schimpften die Tochter eines Weißen und einer Jamaikanerin „Paleface“; unter Nichtfarbigen galt sie als „West Indian“, welche beim Tanzen ganz offensichtlich den Rhythmus der Schwarzen im Blut habe. Anhand ihrer Lebensgeschichte klärt die 1948 geborene US-amerikanische Künstlerin exemplarisch die Dominanz der sozialen Prägung der angeblich genetisch geschiedenen „Rassen“: Rein theoretisch und „genetisch“ könnte sie sich für Schwarz oder Weiß entscheiden oder dazwischen changieren. Doch ihr Umfeld verlange Eindeutigkeiten. Die „rassische“ Einordnung ist maßgeblich vom sozialen Kontext abhängig und hierin durchaus vergleichbar mit den Erkenntnissen jüngster Gender-Studien, welche Geschlechtszugehörigkeit nicht mehr biologisch, sondern gesellschaftlich definieren. Hierzu paßt, daß Adrian Piper – schon ihr Vorname ist geschlechtsunspezifisch – in frühen Performances und Selbstporträt-Serien mit der Transformation in einen virilen, zigarrerauchenden Afro spielte: Ein theatraler Versuch, „Geschlecht“ und „Rasse“ zu tauschen.

Als Akt der protestierenden Verzweiflung ist ihr 1981 klassisch mit Kohle gezeichnetes Selbstporträt zu lesen: Die eigentlich mitteleuropäisch wirkende Künstlerin skizzierte sich mit Kraushaar, Wulstlippen und ausgeprägter Nase und arbeitete wie ein Karikaturist ihre „negroiden Features“ heraus. Nach langer Indifferenz und mit Hilfe ihrer diversen als Selbstporträt gekennzeichneten autobiographischen Studien entschied sich Adrian Piper Anfang der achtziger Jahre eindeutig für die Position der Nichtweißen. Diese Zäsur, deutlich ablesbar in der retrospektiv gehaltenen Präsentation ihrer Arbeiten im Münchner Kunstverein, scheidet zugleich ihre frühe konzeptuelle Kunst von den nunmehr gesellschaftspolitischen und plakativeren Arbeiten. Die Abkapselung durch eine akademisch geprägte Kunstpraxis (es liegen Sammelmappen jener Phase vor rund zwanzig Jahren aus) ließ sich nicht aufrecht erhalten; sexistische und rassistische Bemerkungen haben Piper letztlich geprägt. Die in München gastierende Ausstellung demonstriert somit auch exemplarisch, daß „politische Kunst“ keiner Entscheidung bedürfe; vielmehr eine Zwangsläufigkeit darstellt.

„Free at last“ steht mit roten Schreibmaschinenlettern auf der von Abzug zu Abzug verblassenden Fotografie eines vor der Haustür am Baum Gehängten. Für den mit den amerikanischen Bilddokumenten weniger vertrauten Europäer bleibt offen, ob der Farbige den Freitod wählte oder vielmehr ein Opfer der Lynchjustiz ist. „Fühlen Sie sich unwohl bei dem Gedanken, diese Fragen an die Wand Ihres Wohnzimmers aufzuhängen?“ steht unter jeder Bildtafel einer Serie, welche sich beim Besucher der Ausstellung nach dessen Bekanntenkreis und dem Anteil von Farbigen am Arbeitsplatz in Form einer statistischen Erhebung annonciert. Die Frage nach der persönlichen Verantwortung und der „emotionalen und politischen Distanz“ stellt Adrian Piper in vier abschließbaren Kabinen. Die an amerikanische Wahlboxen angelehnte Konstruktion „Vote/Emote“ ist im Inneren mit Fensterblicken auf hintergrundbeleuchtete Fotodokumente versehen. Hier kann der individualisierte Besucher anonym sein Votum abgeben, wenn frei, so nicht geheim. Andere Besucher können die Kommentare lesen und mit ihrer Meinung vergleichen.

In einer Serie von Überzeichnungen der meinungsbildenden Zeitung New York Times korrigiert Adrian Piper die dortige Abwesenheit der Farbigen. Die „Vanilla Nightmares“ gekennzeichneten Alpträume der Weißen okkupieren den Anzeigenplatz für teure Parfüms oder Kreditkarten und überwuchern die Luxusartikel- Welt der Wohlhabenden mit den Massen angriffslustiger und lüsterner Schwarzer. Mit festem Klammergriff nimmt sich ein skizzierter „Neger“ das für die Bekleidungsserie „Street Safari“ posierende weiße Model zur Brust: Schlummernde Fremdenfeindlichkeit – also auch die Angst vor dem abstrakt Fremden – soll sowohl geweckt als auch in einer Art Katharsis abgebaut werden.

Adrian Pipers neuere Arbeiten richten sich durchaus penetrant an die einflußreiche Besucherschicht der Meinungs-Multiplikatoren, um sie mit dem „Anderen“ zu konfrontieren, wie ihr Galeriekollege Hans Haacke auch. In der reichhaltigen Verwendung von Schrifttafeln oder dem Videovortrag „Cornered“ – Augenkontakt zum Betrachter wie bei Fernsehansprachen zur Lage der Nation, mit Perlenkette um den Hals – spekuliert sie mit dem Betrachterverhalten des durch die Schriftkultur geprägten, akademischen Bildungsbürgertums, dem sie als Harvard-Professorin inzwischen durchaus selbst angehört. Adrian Piper – so scheint es – glaubt an Reformen durch Aufklärung und „Problematisieren“: dafür steht eine Fototafel mit dem Bild des versöhnlichen Predigers Martin Luther King. Anstatt, zum Beispiel, MalcolmX.

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