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Mafia-Aussteiger packen aus

Enthüllungen über die Morde an Moro und Dalla Chiesa, über Mafia-Kontakte zu Putschisten und über Interna aus dem organisierten Verbrechen/ Geständnisflut verwirrt Ermittler  ■ Aus Rom Werner Raith

Da reiben sich selbst optimistische Antimafia-Krieger die Augen: In Kompanie-Stärke marschieren derzeit Aussteiger aus der bisher zugeknöpften, vom ehernen Schwur des Schweigens („Omerta“) geprägten Cosa nostra in Polizei und Carabinieri-Posten, um alles auszusagen, was sie wissen.

Aus Frankreich rückt Antonino Calderone an, Bruder des einstigen – mittlerweile ermordeten – Vorsitzenden der Comissione, des obersten Leitorgans der Mafia aus Sizilien. Er, dessen Geständnisse vom Mafiologen Pino Arlacchi im Buch „Gli uomini del disonore“ (Die Männer der Unehre, deutsch im Februar „Mafia von innen“) bereits veröffentlicht wurden, fügt seinen Aussagen neue Berichte über die Kontakte rechter Putschisten mit Uomini d'onore, wie sich die Mafiosi selbst nennen, hinzu. Aus den USA ist, ebenfalls spontan und als Reaktion auf die Ermordung der Antimafia-Jäger Falcone und Borsellino, der erste große „Kronzeuge“, Tommaso Buscetta zurückgekehrt. Er will nun auch über die Verbindung zwischen Mafia und Politik berichten. Bisher hatte er sich geweigert, weil er bei den Gerichten „zu wenig Entschlossenheit zur Aufklärung“ gespürt hatte. Mittlerweile scheinen ihm aber die Verurteilungen zahlreicher von ihm Angeschuldigter und das schnelle „Lebenslänglich“ gegen die – aus Deutschland ausgelieferten – Killer des Richters Livantino sowie die Massenverhaftungen der letzten Wochen das notwendige Zutrauen zu geben. Allein Mitte November wurden an die zweihundert Personen festgenommen, weitere hundert mit Ermittlungsverfahren überzogen oder zur Fahndung ausgeschrieben.

In seinen Einlassungen vor der Antimafia-Kommission gab Buscetta tatsächlich Heißes von sich: er selbst sei 1978, als der christdemokratische Parteipräsident und fünfmalige Regierungschef Aldo Moro von den Roten Brigaden entführt wurde, mit der Kontaktaufnahme zu verhafteten Brigadisten der ersten Generation beauftragt gewesen, um Moro freizukriegen. Doch dann habe ihn ein brüskes „Halt“ aus Politikerkreisen gestoppt. Wer der Stopper war, will Buscetta in den nächsten Tagen den Gerichten mitteilen. Den – 1982 in Palermo ermordeten – General dalla Chiesa, vor seinem Antimafia-Einsatz Leiter des Kampfes gegen den Terrorismus, wollte die Cosa nostra laut Buscetta schon 1978/79 umbringen: sie fürchtete eine Rückkehr des bereits in Sizilien erprobten Antimafia-Carabiniere. Nur sollten damals noch die Roten Brigaden die Verantwortung dafür übernehmen, was die aber nicht wollten, wenn sie nicht tatsächlich selbst mitschießen durften. So wurde die Sache verschoben, bis dalla Chiesa nach Sizilien kam. Seine Versetzung, so wiederum Buscetta, sei von „Männern in Rom“ beschlossen worden, um ihn den Mafia-Kugeln auszusetzen. Tatsächlich hatte Dalla Chiesa, nachdem er den Linksterrorismus zerschlagen hatte, seine Ermittlungen intensiv dem – bis heute weitgehend unbestraften – Rechtsterrorismus und Dunkelmännern wie den Brüdern von der Geheimloge „Propaganda 2“ zugewendet, so daß er einigen Machtträgern wohl lästig wurde. Ob Buscetta Beweise hat, muß sich aber erst herausstellen, wenn er auch hier die Namen nennt.

Was die italienischen Politiker und Fahnder jedoch besonders elektrisiert, sind die Aussagen neuerer, junger Mafia-Aussteiger: danach soll der seit Jahren alle mafiosen Aktivitäten als Vorsitzender der Commissione oder Cupola (Kuppel) dominierende Salvatore („Toto“) Riina mittlerweile nicht nur über Siziliens Cosa nostra gebieten, sondern zu einer Art Weltherrscher der Kriminalität aufgestiegen sein. Unterschiedliche Gruppen des internationalen Drogen- und Waffenhandels, der Auto-, Kreditkarten-, Valutaschiebersyndikate und, möglicherweise, auch unverdächtige „Ehrenmännerzirkel“ geheimer Logen sollen eine Art „Welt-Kommission“ eingerichtet haben, der Riina, als der erfahrenste und skrupelloseste aller Organisiert-Kriminellen vorsteht.

Das allerdings verwirrt die Ermittler gleichzeitig in gewisser Weise: ihrer Rekonstruktion nach nämlich soll just Riina bei dem großen Attentat auf Giovanni Falcone an der Autobahn Punta Raisi-Palermo selbst Hand angelegt haben. Das Wochenmagazin L'Espresso veröffentlicht in seiner letzten Ausgabe ein vom amerikanischen FBI hergestelltes „Altersbild“ Riinas (da von ihm seit zwei Jahrzehnten kein Foto vorliegt): das zeigt frappierende Ähnlichkeit mit den Phantombildern, die Zeugen von einem der „Arbeiter“ lieferten, die sich an der dann mit mehreren hundert Kilo Sprengstoff gefüllten Kanalröhre unter der Autobahn zu schaffen gemacht hatten. Daß sich der Weltchef der Mafia, so es ihn wirklich gibt, in noch dazu vorgerücktem Alter selbst in die Niederungen eines hochtechnologisierten Dynamit-Attentats begibt, erscheint denn doch allzu starker Tobak.

Erfahrene Experten wie der Vizepräsident der Antimafiakommission, Paolo Cabras, sind „einerseits zwar recht zufrieden mit dem Dammbruch, der da offenbar über die Clans gekommen ist“, doch andererseits „müssen wir uns nun vor einer Flut von Aussteiger-Aussagen hüten, die dann so erdrückend und bald in sich so widersprüchlich sind, daß die Wahrheit noch unauffindbarer wird als zu Zeiten der ,Omerta‘“.

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