: Schlüsing und die Schubkarre
■ Bzw.: Was Werftdirektoren weh tut / In der Hafenkneipe belauscht
Schlüsing und die Schubkarre
Bzw.: Was Werftdirektoren weh tut / In der Hafenkneipe belauscht
Mittags im „Cap Horn“. Es werden Kutterschollen verzehrt. Der laute Herr spießt ein Speckstückchen auf und hebt die Gabel feldherrnhoch über seinen Kopf. „Heute morgen“, sagt er drohend. Dann pickt er eilig das Speckstückchen von der Gabel und zermalmt es. Es hatte keine Chance. Die andern schweigen. Aber während der Herr noch malmt, schaut er schon redselig in die Runde und sammelt die Blicke auf das, was er jetzt sagen will. Es geht um Schlüsing, Schweißer Schlüsing. Schweißer Schlüsing ist ein Arschloch. So. „Das kann hier jeder hören.“
Schweißer Schlüsing hat heute morgen um halb neun eine Schubkarre über das Werftgelände gefahren. „Und da frag ich ihn: Sagense mal, Schlüsing, was wollen Sie denn mit der alten Schubkarre? Und da sagt der mir doch glatt: Die soll gesandstrahlt werden. Will der eine alte Schubkarre sandstrahlen! Und dann sagt Schlüsing zu mir: Und hinterher wird sie lackiert. Lackiert!!
Also, der Schlüsing: Der kommt um acht. Manchmal auch um zehn nach acht. Dann läuft er in der Werkstatt herum und fragt: Wo hab ich denn gestern meine Colaflasche stehen lassen? So einer ist das. Dem Schlüsing, dem hab ich mal einen Muschelkratzer in die hand gedrückt. Ich sag: Schlüsing, da hinten im Dock liegt der Dampfer soundso, da werden jetzt mal die Muscheln gekratzt. Da kuckt der mich ganz lange an, nimmt den Muschelkratzer und zieht ab. Und als ich zwei Stunden später nachsehe, ist da ein Lehrling beim Muschelkratzen. Ich sag: Wo ist denn der Schlüsing? Ja, dem war schlecht. irgendwas mit den Augen. So. Und wo ist der jetzt? Hat sich abgemeldet, irgendwohin. Und den Lehrling, den läßt er Muscheln kratzen.
Aber ich vergeß sowas nicht. Schlüsing, sag ich, wo ich ihn heute mit der Schubkarre treff, daß Sie das aber abkönnen mit ihren Augen, das Sandstrahlen. Nicht daß Ihnen wieder schlecht wird! Nee, sagt Schlüsing, das ist ja für die IG Metall, für unsere Grünkohltour. Dafür mach ich die Karre zurecht. Na, ich denk, mir saust ein Hammer vor den Sack. Ich sag: Schlüsing, da steht ja der Name von unserer Werft drauf, auf der Schubkarre. Wieso nimmt die denn die IG Metall mit? Ooooch, sagt Schlüsing, wo die doch schon so alt ist. So 'ne alte Schubkarre.
Ich sag: Schlüsing, nicht daß ich ein reicher Mann wäre. Aber passen Sie auf: Ich geb Ihnen hundert Mark, wenn Sie diese alte Karre stehen lassen und nie wieder in meinem Betrieb Schubkarren sandstrahlen. Da kuckt der mitch ganz treu an und sagt: Nett von Ihnen, Chef, aber was kriegt man denn heute noch für hundert Mark? So. Das sagt der zu mir. Chef, was kriegt man denn heute noch für hundert Mark. Und wackelt mit seiner Schubkarre zum Sandstrahlen. Also ich sag euch, wenn ich morgens den Schlüsing seh, brauch ich keinen Kaffee mehr, dann hab ich meinen Puls.“
Nach diesen leidenschaftlichen Worten schüttet laute Mann etwas Bier nach, rülpst dezent,und schon stößt die Gabel wieder in den Luftraum über den Kutterschollentellern. „Und an Weihnachten fahr ich wieder nach Dänemark. Aber diesmal nehm ich nur vernünftige Leute mit. Dann fahr ich endlich einmal allein!“ Und wiederholt es sicherheitshalber: „Dann fahr ich endlich mal allein.“ Lutz Wetzel
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