: Walter-Benjamin-Gedenkstätte
■ betr.: "Kein Geld aus Bonn", taz vom 16.10.92
betr.: „Kein Geld aus Bonn“, taz vom 16.10.92
Zunächst die Schlagzeilen:
„Benjamins Gedenkstätte – Bundesländer übernehmen Kosten“ (FAZ, 20.10.92), „Benjamin-Gedenkstätte in Port Bou gesichert“ (Tagesspiegel, 21.10.92), „Walter Benjamin – Kein Geld aus Bonn“ (taz, 16.10.92)
Bei einem Vergleich der Berichterstattung in Sachen Benjamin schneidet die taz selbst dann gut ab, wenn sie nur die dpa-Meldung wiedergibt, weil sie durch ihre Aufmachung, die Formulierung der Schlagzeile, die Sache auf den Punkt bringt. Allen frommen Wünschen zum Trotz, die die Schlagzeilen der anderen Presseerzeugnisse prägen, bleibt es dabei – keine müde Mark gibt es aus Bonn für die Gedenkstätte, für die sich sogar der Bundespräsident mehrfach eingesetzt hat. Auch die Absprache der Ministerpräsidenten, auf die sich die Schlagzeilen der anderen Zeitungen beziehen, kann darüber nicht hinwegtäuschen.
Die Berichterstattung der FAZ, der SZ und des Tagesspiegels ist geradezu irreführend, weil dabei schlicht übersehen wird, daß es sich bei den Bundesländern nicht mehr um Doudezfürstentümer handelt, wo der Ministerpräsident schalten und walten kann, wie er möchte. Auch dort gibt es Parlamente, Ausschüsse und eine Haushaltsordnung. Das Publikum darf also gespannt auf die Landtagsdebatten über Walter Benjamin und die Finanzierung der Gedenkstätte in Port Bou warten. Ich befürchte mehrere Provinzpossen, nach der so gelungenen Premiere in Bonn. [...]
Festzuhalten ist zunächst: Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages lehnte in seiner Mehrheit die Bewilligung der von der SPD beantragten Mittel ab, obwohl sich Abgeordnete aller Parteien im Bundestag für die Errichtung der Gedenkstätte in Port Bou ausgesprochen haben.
Auch im Unterausschuß für auswärtige Kulturpolitik, so eine briefliche Mitteilung des Vorsitzenden, wurde die Realisierung des Karavan-Entwurfes befürwortet. Der Haushaltausschuß hat mit diesem Beschluß die Chance vertan, die im Sommer 92 bekannt gewordene Fehlentscheidung, durch die die Mittel für das Benjamin- Denkmal gestrichen wurden, zu korrigieren. Die Mitarbeiter im eigenen Hause, die die Haushaltsordnung politisch-moralisch fragwürdig handhaben, wurden nicht belehrt, nein, sie müssen sich bestätigt fühlen.
Angesichts dieser Entscheidung der Koalition frage ich mich, was von den Reden des Herrn Kinkel und anderer Mitglieder der Koalition zu halten ist, die zwar lautstark den kriminellen Brandanschlag auf die Gedenkstätte in Sachsenhausen verurteilen, aber nicht in der Lage sind, die politisch-moralische Qualität der Entscheidung, das Benjamin-Denkmal zu kippen, noch bevor es gebaut wird, zu erkennen. Es gibt viele Methoden, sich der Verantwortung, die uns aus der Vergangenheit auferlegt ist, zu entziehen.
Demgegenüber ist festzuhalten, daß es in der Bundesrepublik durchaus eine relevante Gruppe von Menschen gibt, die der Entscheidung der Bundesregierung in der Frage der Errichtung des Benjamin-Denkmals in Port Bou erhebliches Gewicht beimessen.
Während der vergangenen drei Monate haben mehr als 350 Persönlichkeiten, darunter fünf Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses (von CDU, SPD bis zur AL/Bündnis90), viele Hochschullehrer, Künstler, Journalisten, Historiker, Psychologen, Soziologen, Architekten, Ärzte und Pädagogen einen offenen Brief an den Bundespräsidenten unterschrieben, in dem eine Korrektur der Bonner Fehlentscheidung gefordert wird. Der Erfolg der Unterschriftensammlung stellt eine eindrucksvolle Bestätigung für die von den Initiatoren des Denkmals geleistete Arbeit dar. Der Entwurf von Dani Karavan geht neue Wege, aber viele Menschen sind bereit, sich auf den Entwurf von Dani Karavan einzulassen und appellieren eindringlich an alle Verantwortlichen, die Realisierung des Entwurfs zu ermöglichen.
Es wäre gut, wenn die taz auch weiterhin über den Konflikt um die Benjamin-Gedenkstätte mit der gebotenen Skepsis berichten würde. Hartmut Lindner, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen