■ In Tadschikistan gibt es eine halbe Million Flüchtlinge
: Das „zweite Bosnien“ am Pamir

In Tadschikistan wurde – einmalig unter den mittelasiatischen Republiken des einstigen Sowjetreiches – die kommunistische Nomenklatura von den Volksmassen entmachtet. Doch der Preis der Freiheit war zu hoch: Vor einem halben Jahr schickte eine Koalition von Islamisten, Demokraten, Nationalisten und reuigen Kommunisten den Staatspräsidenten und ehemaligen KP-Chef Abdul Rachman Nabijew in die Wüste. Der gestürzte Staatschef aber wollte die Arena nicht kampflos verlassen. Bald entbrannte ein blutiger Bürgerkrieg im Bergland am Pamir. 30.000 Menschen verloren ihr Leben, eine halbe Million flüchteten aus den umkämpften Gebieten. Zur Zeit ist das Armenhaus der ehemaligen Sowjetunion mit seinen sechs Millionen Bürgern praktisch geteilt. Während in der Hauptstadt Duschanbe und in der Provinz Badachschan nahe der chinesischen Grenze die nationalistisch-islamistische Koalition, geführt von dem Parlamentspräsidenten Akbarschah Eskandarow, das Sagen hat, herrschen im Norden Anhänger Nabijews, meist usbekischer Herkunft. Der Süden wird von den radikalen Kommunisten beherrscht, deren Chef der ehemalige Parlamentspräsident Safarow ist, der seinen Gesinnungsgenossen Nabijew als Opportunisten ablehnt, weil dieser in seiner Amtszeit mit den Islamisten zusammenarbeitete.

„Wir werden“, verlautete es kürzlich aus dem Lager der Kommunisten, „die Islamisten aus Tadschikistan verjagen und über dem Pamir erneut die rote Fahne Lenins hissen.“ Die Zuversicht der kommunistischen Insurgenten kommt nicht von ungefähr. Sie genießen die Unterstützung der russischen Truppen, die noch im Lande stehen. Für Moskau stellt der religiös verbrämte Nationalismus der Tadschiken eine ernste Gefahr für den Bestand der GUS dar. Auch die tadschikischen Nachbarländer, vor allem Usbekistan, wo 20 Prozent der Bevölkerung tadschikischer Herkunft sind, hoffen auf die Kommunisten. Denn ein Sieg der antikommunistischen Koalititon in Tadschikistan könnte die islamisch-nationalistische Opposition in diesen Ländern stärken. Allem Anschein nach wird das Blutvergießen in den tadschikischen Bergen weitergehen. Die Zeitungen in den islamischen Ländern sprechen bereits von einem „zweiten Bosnien“ am Pamir. Ahmad Taheri

Publizist, lebt in Frankfurt