: Die Spätschicht verläßt keiner lebend
■ Sie haben durchgehalten, bis sie Bremens älteste Hardrockband wurden: Die „Spätschicht“ unter Käpt'n Schorse Bley aus Gröpelingen
„Die Spätschicht verläßt keiner lebend!“ ist einer ihrer Sprüche. Das stimmt allerdings nur zum Teil (immerhin, aber das ist ein dunkles Kapitel...), denn die eine oder andere „Tanzhexe“ oder der Punker, der eine zeitlang Schaumstoffpflastersteine von der Bühne ins Kneipenpublikum schleuderte, haben ihre Band inzwischen verlassen, ohne daß man ihre Leichen in einer finsteren Ecke des Probenbunkers am Waller Ring gefunden hätte.
Wolfgang Bley aber, der körpermächtige Bandleader, auch Schorse oder „Käpt'n Bley“ genannt, sein jüngerer Bruder Mike und Timo, sie rocken schon seit zehn Jahren in „Spätschicht“ und können zu Recht als das einzige Stück Gröpelinger Prolli- Kultur gelten. Ihr winziger Probenraum im großen, unheimlichen Weltkriegsbunker ist mindestens so hart wie ihre Musik. So gerade mal eben faßt er die drei Altrocker und den Neuling Michael, das Schlagzeug, die Anlage und die E-Gitarren. Die schalldämmenden Matrazen an der Wand miefen 10-jährigen Schweiß-, Bier- und Bunkerfäulnisgeruch aus, „aber mecker nich!“, sagt Wolfgang, der in seinem ärmellosen T-Shirt aussieht wie ein japanischer Sumo-Kämpfer. „Wir sind froh, daß wir hier spielen können, und über die Matrazen waren wir damals glücklich!“
Und dann legen die vier Spieler los. Mike beginnt mit einem
Mutter, ich steh auf deine Beine
prachtvollen Schlagzeugsolo, die Baßgitarre vom Newcomer Michael („der paßt sich ordentlich ein“) liefert ein schönes, dunkel-melodisches Solo, und als die beiden E-Gitarren von Timo und Wolfgang dazustoßen, rast eine so geballte Dröhnung gegen das Trommelfell, daß vom melancholischen Text, den Wolfgang unbewegt mit heiser-näselnder Stimme singt, nur eins rüberkommt: „Ich bin ein Junge von der Straße, einer vom ganz, ganz harten Kern“ . Hardrock eben. Und schade um die Texte überhaupt, die von verkrachten Existenzen handeln, von der traurigen Liebe, von Alkohol und Drogen; Texte, die, sensa
Die ganze Kapelle in ihrem Übungsbunker, links Schorse BleyFoto: Holzapfel
tionell für eine Hardrockband, auch schon vor zehn Jahren deutsch waren.
Pause. In der plötzlichen Stille ist es umso verwirrender, daß die eigene Stimme wie in Watte gehüllt klingt. „Joo, wir sind das ja gewöhnt...“, meint Wolfgang gutmütig, „früher, als wir noch komplett arbeitslos waren, da haben wir hier drei bis vier mal in der Woche geprobt. Das war die schönste Zeit!“
Das war die Zeit, in der die Gröpelinger Kinder in der Straßenbahn sangen: „Okay, allright, heute sind wir alle breit!“ Die Zeit auch, in der ein Kneipen-, Mottorradtreffen-und Jugendzentrumsauftritt den anderen ablöste und „Spätschicht“ ein Synonym für „Gröpelinger Power“ war. Vor ein paar Jahren war die Band sogar groß im Fernsehen, mittags, frühabendlich
hierhin bitte die
Musiker im winzigen
Übungskeller
und in den Tagesthemen, bundesweit. „Da sagten alle: Das ist der Durchbruch! Aber einen Plattenvertrag haben wir trotzdem nicht gekriegt“, sagt Timo, „macht nichts, wir haben das auch nie angestrebt.“
Auftritte sind es, was „Spätschicht“ will („Wir sind nicht eine von diesen Bands, die ewig proben und dann schlapp machen, bevor sie das erste Mal draußen waren“), aber auch mit Auftritten sieht es seit zwei Jahren eher schlecht aus: „Bremen ist kulturell tot. Auf dem Marktplatz spielen immer und ewig die „Mushrooms“, es ist zum Kotzen. Wir würden mit Kußhand dort spielen, für Spesen und Freibier, und wir würden die Massen zum Johlen bringen!“ Timo düdelt auf seiner E-Gitarre, „insgesamt sind die Veranstaltungen schlapper geworden, und die Jugendzentren haben keine Lust mehr, sich den Arsch aufzureißen. Oder sie haben Angst vor Großschlägereien.“
Geld springt keins raus für die vier „Spätschicht“-Rocker: „Das ist nun mal so“, sagt Wolfgang gelassen, „Musik ist immer draufzahlen, als kleine Pifferband kannst du nichts beschicken. Alle Musiker heulen einem da die Hucke voll.“ Und der ruhige Mike erzählt, daß eine Band ihnen mal einen Liedtext für tausend Mark abkaufen wollte, aber... „Aber“, springt Timo ein, „ich hab gesagt: sind wir denn fertig, für einen lächerlichen Tausender? Da machen wir eine Fete, und weg ist das Geld und
unser toller Text!“ Der Text vom Jungen von der Straße, dessen Refrain nicht, wie allgemein kolportiert „Mutter, ich steh auf deine Beine“, sondern nachweislich „Ich steh auf eignen Beinen“ heißt.
„Naja“, sagt Wolfgang, „ich schreib ja die Texte. Nichts Hochgestochenes, kein Grönemeyer, kein Lindenberg mit Seiner Pankow-Schnulze. Nee, die haben mit meiner eigenen Erfahrung zu tun.“ Er lacht: „Wir sind ja alles mehr oder weniger verkrachte Existenzen“. Die aber Musik machen, die unter die Haut geht, in der richtig schönen Mischung aus hart und sentimental. Und die es weiterhin geben wird in Gröpelingen. Wie gesagt. Auftritte sind ausdrücklich erwünscht. „Wir sind bereit zu jeder Schweinerei. Für Spesen und Freibier!“ Cornelia Kurth
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen