: Der finnische Blues
■ Neu übesetzt: Bücher von Rosa Liksom, Annika Idström und Antti Tuuri
„Spätnachts ging ich in die Stadt, um nach Nick Cave zu suchen, aber was mir in die Hände fiel, war ein rötlicher, speckig glänzender Fischer von der Ostküste.“ Das ist nicht gerade das imaginierte Glück. Dennoch legt „sie“ sich zu dem plappernden Fettsack, „gibt ihm alles“ – und drückt ihm anschließend die Kehle zu. „Sie“ reiht sich ein in die Mitternachtsgalerie von komischen Vögeln, die Rosa Liksoms ultrakurze Prosaskizzen bevölkern. Trinker, Schwule, Huren, Landbewohner und Stadtindianer jeder Couleur, Alte, Einsame, Sprachlose, in deren Leben zuviel schiefläuft, Liksoms Figuren stolpern über morastige Höfe und aufgerissene Straßen und kämpfen mit verquollenen Haustüren. Aber ihr schlimmster Gegner ist der Blues, der ihnen nachts in die Knochen kriecht.
Nacht und Tag erscheinen diesen verhinderten oder wirklichen Selbstmördern in demselben trübblauen Licht – eine nördliche Welt, deren trostloser Alltag vom Unheimlichen bedroht wird, bis haarfeine surrealistische Risse den trügerischen Schein sozialer Integriertheit durchziehen. Da sitzt eine Meerjungfrau, wie sie Andersen schöner nicht hätte erfinden können, im Schaufenster und wird gesteinigt. Frost, Schinken, Sauna und Ofenkäse dekorieren die Tristesse abgelegener Höfe, wo die Wecker viel zu laut ticken, wo immerfort dudelnde Radios eine Art Geborgenheit suggerieren sollen.
Rosa Liksoms Finnen sind schroffe, spröde, gleichzeitig aber fragile Gestalten in verschiedenen Zuständen von Isolation. Sie verharren stumm in ihren Ghettoräumen, wenn sie nicht den Ausbruch in eine Skurrilität schaffen, über die sich Individualität wiederherstellt. So verwandelt ein alter Mann sein Mietsgefängnis im siebenten Stock in einen stinkenden Urwald voller Papageien. Der Lonely Cowboy hingegen legt fünf Ohrringe, dreißig Armreifen, sieben Ringe sowie drei Gürtel an und gibt sich damit seine Form. „Mit der Liebe und Sehnsucht muß jetzt Schluß sein“, scheinen diese Glücksritter zu schreien — und bleiben ihren verschütteten Träumen letztlich doch ausgeliefert.
„Her mit der Frau“, denkt sich ein ungelenker Möchtegernbiker, aber die Frau ist eine mißbrauchte Säuferin, und der Junge wacht in einer anderen Welt auf: Die Unschuld ist ausgelöscht. Der Vollzug des Üblichen, das „Ficken“, „Sich Paaren“, wirft Liksoms Figuren wieder und wieder in die Verlassenheit zurück. Erfahrungsepiphanien – letztendlich ist es viel zu traurig, im normal Falschen zu verkommen, nur weil es alle so machen. Liksoms Männer und Frauen können nicht wirklich miteinander reden. Die Erbärmlichkeit ihrer Existenzen entspricht der Armseligkeit ihrer Mitteilungen. Die Poesie, mit der Liksom die Natur beschreibt, kontrastiert mit ordinärstem Slang, der die latente Sprachlosigkeit der Figuren verdeckt. Ihre Monologe sind karg, letzte Mitteilungen können nonverbal sein: Sie tötet ihn, er tötet sie. Sehnsucht nach Liebe und Nähe gefährdet eben den zum Verzweifeln öden, aber geschlossenen, also sicheren Verhaltenskodex. Liksoms Kunst liegt im Minimalismus, der abgründige Welten in Bruchstücken komprimiert.
Liksom wurde 1960 im lappländischen Ylitornio geboren, studierte in Helsinki, Moskau, Kopenhagen und lebte jahrelang im Hippiefreistaat Christiania. Zwei ihrer mittlerweile vier Bücher liegen endlich in deutscher Übersetzung vor, wenn auch mit sechs- beziehungsweise dreijähriger Verzögerung und, editionshierarchisch betrachtet, in der Taschenbuchliga. An der peripheren geographischen Lage der Ursprungsländer allein kann es nicht liegen, daß skandinavische Literatur in den Editionsprogrammen keine wesentliche Rolle spielt. Der Verlag Volk & Welt hat Annika Idströms furiosen Roman „Mein Bruder Sebastian“ veröffentlicht, Antti Tuuris „Winterkrieg“ ist bei Kiepenheuer erschienen. Damit ist die Aufzählung nicht im mindesten komplett, aber schon die genannten Autoren haben eine Backlist an Werken aufzuweisen, die – gerade bei Idström und Liksom – beherzte editorische Entscheidungen verdiente. Liksoms Reportageband „Go Moskva Go“ paßte doch vorzüglich in die modische Slawophilie – wenn denn Suomi Underground nicht trendy genug ist. Anke Westphal
Rosa Liksom: „Schwarze Paradiese“. 125 Seiten, 8,80Mark; „Verlorene Augenblicke“. 123 Seiten, 8,90 Mark, beide aus dem Finnischen von Anu Pyykönen- Stohner und Friedbert Stohner, Rowohlt.
Annika Idström: „Mein Bruder Sebastian“. Aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara. Volk & Welt, 224 Seiten, 29,80Mark
Antti Tuuri: „Winterkrieg“. Aus dem Finnischen von Peter Uhlmann. Gustav Kiepenheuer Leipzig/Weimar, 228 Seiten, 28Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen