: Unterm Strich
Karl Valentin wußte bescheid: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“ So schlimm kann es andererseits wiederum nicht sein mit der Kunst, wie wir aus einer Benachrichtigung über ein „humorvolles Kunst- Dinner“ erfahren, welches sich am vergangenen Sonntag zu Wiesbaden (of all places!) begeben hat. In Fluxus-Aktionen gelangte dortselbst folgendes zur Darstellung: „Der New Yorker Dick Higgins bestieg eine Leiter und goß mit dünnem Strahl Wein in die von den Gästen hochgehaltenen Gläser oder“ (wieso oder?) „deklamierte skurrile Texte. Die Kunst, drei frei im Saal herumlaufende Hühner mit sanftem Griff einzufangen, nach Buchstabenfolgen eigene Melodien auf Kinderflöten zu erzeugen oder mit geschobenen Wirtshausstühlen auf Steinboden schrille Kratztöne hervorzubringen, machte die international zusammengesetzte Gästeschar zu fröhlichen Fluxus- Aktivisten“.
Glückliches Wiesbaden! Nun sage noch eineR, die Kunst diene dem Volke nicht.
Sie dient dem Volke doch, und nicht nur in Wiesbaden! Mehrere hundert Fans des vor einem Jahr gestorbenen Rock-Sängers Freddie Mercury haben sich an seinem ersten Todestag vor seinem Haus im edlen Londoner Stadtteil Kensington versammelt. Wie wir erfahren, summten sie Freddies Lieder und schrieben Widmungen an die Mauer vor Mercurys Haus („Freddie, du wirst immer in meinem Herzen leben“). Die Plattenfirma Queens Productions sucht nun bei den Londoner Stadtplanungsbehörden um die Genehmigung für die Aufstellung eines Denkmals für den Sänger nach. So gebiert Kunst fortzeugend neue Kunst – „Freddie forever“, ars aeterna!
Auch das pauperisierte Berlin will den Starkult zentrieren. Eine „Berlinale der kurzen Wege“ hat am Dienstag der Berliner Senat auf Anregung seines Kultursenators Roloff-Momin beschlossen. Erweiterungsbauten in der City sollen's möglich machen. Erst in diesem Zusammenhang erfahren wir, daß gegenüber der Gedächtniskirche ein „Bikini-Haus“ gelegen ist, welches sich dank der immer noch anwachsenden Zahl der Akkreditierungen als „zu klein“ erwiesen hat und mit dessen „Aufstockung“ wir nun rechnen dürfen. Doppelstöckiger Bikini für Berlin!
Nicht nur ist die deutsche Sprache schwer, sie gebiert auch Ungeheuer. Die Gesellschaft für deutsche Sprache fordert daher die BürgerInnen auf, ihrem Herzen über „unverständliches Amtsdeutsch“ Luft zu machen: Seit Montag läuft die Suche nach dem „Unwort des Jahres“. Im vergangenen Jahr errang die Wortschöpfung „ausländerfrei“ die Trophäe. Man muß fürchten, daß Horst Dieter Schlosser von der Universität Frankfurt, der die BürgerInnen-Vorschläge entgegennimmt, auch in diesem Jahr die Qual der Wahl für die häßlichste Erweiterung des Wörterbuchs des Unmenschen haben wird.
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