„Ohne Bahide sind die Arslans verloren“

Die Mörder und Brandstifter von Mölln haben mehr als eine Frau und zwei Kinder auf dem Gewissen: Die tote Großmutter Bahide Arslan hielt die Familie zusammen  ■ Ein Portrait von Bascha Mika

Bahide war der Boß. Jetzt ist sie tot, verbrannt in ihrem Haus in der Möllner Mühlenstraße. Altes Fachwerk, ein Kanister Benzin und genügend Haß im Herzen – was wird jetzt aus der Familie Arslan?

Von Samsun, im Osten der Türkei, zogen Bahide und ihr Mann Nazim Arslan in die Bundesrepublik. Bahide war 26, Nazim 34. Das ist 25 Jahre her. Ihr erstes Kind, den vierjährigen Faruk, brachten sie mit. Zu Hause war Nazim Bauer, in Deutschland ging er in die Fabrik. Bahide machte alles: Sie half in Restaurantküchen, stach Spargel, pflückte Erdbeeren von den Feldern, betrieb einen kleinen Gemüseladen, arbeitete zuletzt in einer Lübecker Textilfirma. Die Familie lebte in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Mölln, gehörte dort zu den ersten Einwanderern. Seit 1974 wohnte sie in einem weißverputzten Altstadthaus aus dem letzten Jahrhundert – Mühlenstraße 9, dort wo das von Brandstiftern gelegte Feuer in der Nacht zum Montag wütete, wo das Haus von innen verkohlte. Mit ihm Bahide, ihre 14jährige Nichte Ayshe und ihre zehnjährige Enkelin Yeliz.

„Bahide war eine harte Frau“, erzählt Denis, eine türkische Jugendliche, deren Eltern mit den Arslans befreundet sind. Dann überlegt sie und sucht ein besseres Wort: „Streng. Sie war wie ein Mann. Sie konnte alles machen.“ „Klar war sie die Chefin“, meint auch eine deutsche Nachbarin, „ohne Bahide sind die Arslans verloren.“ Ihre Rolle war keine Selbstverständlichkeit bei den patriarchalen Strukturen der türkischen Gesellschaft, an denen auch die vor Jahrzehnten eingewanderten Familien festhalten.

Bei den Arslans war es anders, denn Bahide war anders, mußte anders sein. Ihre Familie wurde größer und bescherte ihr mehr als genug Sorgen. Außer Faruk hatte sie noch zwei weitere Söhne. Der eine ging als junger Mann in die Türkei zurück, der jetzt 24jährige Ahmet blieb. Faruk und Ahmet – beide hatten Türkinnen geheiratet – lebten mit ihren Frauen Hava und Aytan im Haus der Eltern. Faruk und Hava mit drei Kindern: mit Yeliz, dem siebenjährigen Ibrahim und dem acht Monate alten Namuk. Ahmet und Aytan haben einen Sohn: Emrah, sechs Jahre. Vollständig wurde die Großfamilie, als Bahide ihre jetzt über 80jährige Mutter Emine Kartha nach Mölln holte. Klein und schmächtig lag die Urgroßoma auf der Bahre, als man sie mit Rauchvergiftung aus dem brennenden Haus trug.

„Die Arslans“, hört man in Mölln, „sind eine Institution. Aber auch eine ausgesprochen schillernde Truppe.“ Gemeint sind damit vor allem Faruk, aber auch Ahmet. Über die meisten Ausländer sagt man in Mölln selten offen ein böses Wort. Das sind die guten Türken, assimiliert und integriert in die Kleinbürgerszene. Faruk Arslan aber gibt jedem Vorurteil Nahrung. Er prügelt sich, die Leute haben Angst vor ihm.

Bei Polizei und Gericht ist der Mann, der dem Ausländer in Fassbinders „Angst essen Seele auf“ erstaunlich ähnlich sieht, kein Unbekannter. „Faruk ist einfach kriminell“, behaupten die Nachbarn unverblümt, ein goldkettenbehangener Zuhälter, der seine Geschäfte in Hamburg betreibe. „Vielleicht“, spekulieren die Möllner – und man merkt ihnen an, daß sie dieser Version gerne glauben würden – „geht der Brandanschlag gar nicht auf das Konto von Rechtsradikalen, sondern auf das von Faruks kriminellen Freunden.“ Auch Ahmet, der jüngere Arslan-Sohn, machte zeitweise zwielichtige Geschäfte. Jetzt hat er einen normalen Job, arbeitet bei einer LKW-Firma in Hamburg.

Weder Faruk noch Ahmet kümmerten sich groß um ihre Frauen und Kinder. Sie waren meistens weg, überließen alles ihrer Mutter. Die versuchte, die Familie, so gut es ging, zusammenzuhalten, organisierte den Haushalt. Sie und die beiden Schwiegertöchter waren den ganzen Tag in der Fabrik, die Urgroßmutter paßte auf die Kinder auf. „Bahide hatte oft Krach mit ihren Söhnen“, berichtet ein alter Türke, ein Freund von Bahides Mann Nazim. „Aber das sind auch richtige Idioten und schlechte Väter!“ Er ist nicht der einzige unter den Möllner TürkInnen, der Faruk und Ahmet bittere Vorwürfe macht, weil sie in der Brandnacht nicht zu Hause waren und ihrer Familie nicht helfen konnten.

Bahide sei eine erstaunliche Frau gewesen, erzählt der alte Mann, die zwar nicht ihre Söhne, aber den Rest der Familie fest im Griff gehabt habe. „Sie hat immer nur gearbeitet“, erzählt der alte Mann, „und immer für die Familie.“ Bahide ließ das Obergeschoß des Hauses auf eigene Kosten ausbauen, legte für Kinder und Enkelkinder Sparkonten an. Vor kurzem machte die Familie eine kleine Teestube in der Hauptstraße auf. Und jetzt ist sie weg, und keiner der Freunde der Arslans weiß, wie es mit der Familie weitergehen soll. Doch noch im Tod war Bahide Arslan eine ungewöhnliche Frau: sie warf sich über ihren sechsjährigen Enkel Emrah und schützte ihn vor den Flammen. Er überlebte.