Schrecken verlegt

■ Kunsthalle zeigt ab heute 80 wiederaufgefunde Goya-Drucke / Der auf 4 Millionen Mark geschätzte Fund war falsch einsortiert

-Drucke

Der auf 4 Millionen Mark geschätzte Fund war falsch einsortiert

Bei einem Rundgang mit einer Besuchergruppe, die sich Original- Skizzenbücher ansehen wollte, machte Dr. Eckhard Schaar, Leiter des Hamburger Kupferstichkabinettes, vor drei Jahren einen sensationellen Fund: Statt Zeichnungen enthielt das Skizzenbuch No.7 Goyas vollständigen, 80 Motive umfassenden Zyklus Desastres de la Guerra als Probedrucke, die ein italienischer Drucker 1862 von Goyas Original-Druckstöcken angefertigt hatte. Insgesamt hat Potenciano, so hieß er, alle 80 Motive sechsmal gedruckt. Neben der Hamburger Serie gibt es eine weitere im Berliner Kupferstichkabinett.

Goya selbst hat die fertigen Radierungen aufgrund ihrer politischen Brisanz nie publizieren können. Von seiner eigenen Hand existieren aber 495 Probedrucke, die Zwischenstadien der Radierungen zeigen. Dr. Schaar, der „Pfadfinder“ (Schaar über Schaar) des Kupferstichkabinettes, fand schnell heraus, daß die Blätter, deren Gesamtwert heute bei vier Millionen DM liegt, bereits 1953 im Bestand gefunden worden waren. Damals jedoch schien man sich die „Schrecken des Krieges“ schnell wieder aus dem Angesicht schaffen zu wollen. Dabei half der Umstand, daß damals die Inventarisierungen noch nicht von Fachleuten, sondern vom Aufsichtspersonal durchgeführt wurden.

Goya schuf die „Desastres“ 1808-12 unter dem Eindruck des blutigen Volksaufstandes der Spanier gegen die napoleonische Besatzung. In diesem Zeitraum war Goya bereits über 60 Jahre alt und 19 Jahre erster Hofmaler unter Carlos IV. gewesen, der von den Franzosen ins Exil gezwungen worden war. Mit der Aquatinta-Radierung hatte er sich einen künstlerischen und politischen Freiraum geschaffen. Goya ordnete die 80 Motive der Desastres in drei Gruppen: „Krieg“, „Hunger“ und „Caprichios enfaticos“. „Hunger“ behandelt das grauenvolle Leid der Madrider Bevölkerung, als die französischen Belagerer die Stadt über ein Jahr von der Versorgung abschnitten und über 200000 Menschen

1starben. Die „enfaticos“ sind allegorische Szenen, die das Geschehen nicht nur dokumentieren, sondern auf einer begrifflichen Ebene darstellen.

Die Ausstellung wird nicht nur den Hamburger Fund erstmals präsentieren. 19 der 80 Motive werden ergänzt durch Vorstadien von Goyas eigener Hand. „Die Ausstel-

1lung ist auch eine Ausstellung über die Ästhetik der Druckgraphik“, so Dr. Schaar. Goya selbst druckte stets saubere Linien und klare Flächen. Potenciano druckte rund 50 Jahre später ganz im Geschmack des Rokoko, mit viel rotbrauner Farbe. Das Ergebnis, so Dr. Schaar, sei Tiepolo näher als Goya.

Julia Mummenhoff