: Apokalyptisches Rock-Epos
■ Fred Frith und dsa Ensemble Que d'la Gueule gastieren heute abend auf Kampnagel
und das Ensemble Que d'la Gueule gastieren heute abend auf Kampnagel
Glücklich ist Fred Frith nicht, wenn die Medien das Ensemble Que d'la Gueule als eine Gruppe arbeitsloser Amateurmusiker bezeichnen. Doch das staatlich geförderte Projekt, das sechs Monate lang fünf Tage in der Woche in einem ehemaligen Kino im Zentrum von Marseille residierte, sucht im Musikgeschäft seinesgleichen.
14 Arbeitslose erarbeiteten unter der Leitung des englischen Gitarristen und Komponisten Fred Frith die Musik zu einer Oper. Die Ergebnisse des Projektes verdienen Anerkennung und genaueres Hinhören nicht nur, um auf den Sinn staatlicher Arbeitsbeschaffungspolitik hinzuweisen. Helter Skelter heißt das mit gregorianischen Gesängen versetzte Rock-Epos. Die Musik ist brutal, laut und apokalyptisch zugleich. Enthusiasmus und Energie lassen die Musikerinnen und Musiker sprudeln, um die drohende ökologische Katastrophe der Erde anzudeuten, zu verhexen und höhnisch zu belächeln. Und wenn mensch das Spektrum der Klänge filtriert, dann „hört man am Ende das Herzklopfen der Musiker“, sagt Gabriel Vialle. Das Herz der Musiker schlägt allerdings in unterschiedlichen Frequenzen, die ungefähr dem ethnischen Gemisch entsprechen, das in der französischen Hafenstadt eine neue Heimat fand: Marokkaner, Italiener, Algerier, Spanier und Franzosen, aus den unteren Schichten versteht sich.
Wer aber ist diese seltsame Figur, die aus New York in so ein „schwieriges“ Milieu anreist, um Fortbildungskurse des Arbeitsamtes anzuleiten? Fred Frith, geboren 1949 in England, ist ein Außenseiter im Rock-Zirkus. Von den Medien und den großen Plattenfirmen eher ignoriert, wurde er so etwas wie eine Kultfigur. Seit mehr als zwanzig Jahren macht Fred Frith das, wozu er gerade Lust hat. Er läßt sich von niemand ins musikalische Handwerk pfuschen. Im Jahr 1968 war er der Mitbegründer der Gruppe Henry Cow, die mit der Rock-Musik jenseits der Stratosphäre experimentierte; eine „Dada Blues Band“ eben, wie Fred Frith meint. Er arbeitete während und nach der Henry Cow-Epoche mit einer Reihe von unterschiedlichen Künstlern: mit Laurie Anderson, mit den Residents, mit Bill Laswell und mit Tom Cora in der Gruppe Skeleton Crew. Nebenbei spielt er den Baß in John Zorns Naked City und mit seiner Combo Keep the Dog arrangiert er eigene Kompositionen aus den letzten fünfzehn Jahren. Ein jugoslawischer Schulfreund weckte sein Interesse für Musik vom Balkan. Solche Rock-Folklore-Connections sind auch auf dem Album Gravity zu finden, das er für das österreichische Label Rec Rec produzierte. In Marseille wollte Frith alles andere als Sozialarbeit leisten. Im Gegenteil, ihn reizte der „Luxus“, sich ohne den Streß vorgegebener Termine in seine Arbeit vertiefen zu können. Nikos Theodorakopulos
heute, Kampnagel Halle 6, 21 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen