: Gewißheiten aus dem Elfenbeinturm
■ Das Hamburger Institut für Sozialforschung des Mäzens Jan Philipp Reemtsma will eine neue "Denkkultur" aufbauen
aufbauen
Das Haus ist außen weiß, innen noch weißer. Das Prädikat „Elfenbeinturm“ paßt nicht nur äußerlich zur funktionalen Villa am Mittelweg 36, die das Hamburger Institut für Sozialforschung beherbergt. Drinnen wird mäzenatisch finanzierte Wissenschaft vom Feinsten zelebriert: 17 WissenschaftlerInnen treiben klassisch-moderne Sozialwissenschaft, erforschen „die Rolle der Gewalt im Zivilisationsprozeß“, „Konstitutionsbedingungen und Entwicklungspotentiale der BRD“ und, seit neuestem, „Nationalismus, Ethnizität und Fremdenfeindlichkeit“.
Jan Philipp Reemtsma, Erbe einiger hundert Millionen Mark aus dem Zigarettenimperium Reemtsma: „Einige sammeln Briefmarken. In Amerika würde man überhaupt nicht fragen, warum ich Wissenschaft finanziere.“ Vor acht Jahren wurde das Institut gegründet, mischte sich seither mit Publikationen, Projektförderungen und Fachkonferenzen ins Zeitgeschehen ein. Ein eigentümliches Institut: Sozialwissenschaft in der Tradition der Frankfurter Schule — Relikt einer untergehenden deutschen Intellektuellen-Epoche oder Wegweiser zu neuen Ufern?
Uli Biefeld, Chef des neuen Arbeitsbereiches „Fremdenfeindlichkeit“, ist von dessen Bedeutung überzeugt: Die Wissenschaft „löst
1die Probleme nicht, aber sie macht etwas zum Ereignis, bevor es zur Tat kommt“. Während das neue Deutschland das „Ende der postmodernen Gemütlichkeit“, den Ausbruch eines „populären Extremismus der Mitte“ erlebe, sei seine Wissenschaft von brennender Ak-
1tualität und hoher gesellschaftlicher Relevanz: „Wir müssen eine Denkkultur aufbauen und uns in sozialwissenschaftliche Politikberatung einmischen.“ Seine These zu Mölln: „Der Übergang von latenter zu tatsächlicher Gewalt war vorhersehbar. Er kommt nicht von verirrten
1Tätern, sondern vom Extremismus der Mitte, gerade auch von den staatlichen Institutionen und den durch sie transportierten herrschenden Bedeutungsmustern.“
Ein Leuchtturm mit Signalen wie aus einem Elfenbeinturm, zumindest was die Sprache angeht. Auch Jan Philipp Reemtsma, der nicht nur Geld, sondern auch Mitarbeit in sein Institut steckt, packt seine Erkenntnisse und Botschaften in feinziselierte Gedankengebäude. So zerpflückt er mit strengem Blick die sozialwissenschaftlichen Eskapaden der Politik, die sich urplötzlich im Verstehen rassistischer Taten übe, statt politisch zu handeln. Die Politik verschleiere damit nur ihre eigene Hilflosigkeit: „Die neue deutsche Einheit ist ein Problem, mit dem man zurechtkommen muß, löst aber selbst kein einziges Problem.“ Die Politik, besoffen von der eigenen „Einheitsrhetorik“, verweigere sich der Erkenntnis, daß die Einheit zum Zusammenbruch eigener und fremder Weltbilder geführt habe. Der Zerfall „der künstlichen Massen DDR und BRD“ in Form einer „Panik in Zeitlupe“ lasse sich aber nicht mit der Familienrhetorik eines Richard von Weizsäcker auffangen, dessen Habitus immer häufiger an das „und die Mutter blicket stumm auf dem ganzen Tisch herum“ gemahne. Motto: Pfui, das Ausland guckt zu! Häuser anzünden tut man doch nicht!
Reemtsma: „Die Beliebtheit, der sich sozialwissenschaftlicher Jargon zur Zeit erfreut, ist Teil des Problems.“ Und was tut sein Elfenbeinturm am Mittelweg? Reemtsma hofft auf einen „irritierenden Diskurs“. Florian Marten
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