Durchs Dröhnland
: Doof wie Brot

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche: All Fools Day / Deicide / Atrocity / Anhrefn / King Kong / Die Form / Ukrainians

Der Deutsche ist ein überaus gründlicher Mensch. Deshalb widmet er sich mit geradezu krankhafter Leidenschaft vor allem der Adaption angloamerikanischer Vorbilder. Pionierarbeit im Platttreten von Gothic-Klischees leisteten die jungen Mannen von Pink Turns Blue, beheimatet am Niederrhein. Deren Keyboarder und Gitarrist Reinhold „Reini“ Walter verließ die Band und gründete All Fools Day. Diese sind zwar etwas rockiger, widmen sich aber immer noch mit Verve den düsteren Seiten des Tages und ihrer Vertonung. Dies tun sie mit prügelnder Perkussion und einer Stimme mit der Intensität und dem Timbre eines Zahnarztbohrers. Die Gitarre klingelt dünn und gotisch, und was einige Rezensenten zum Sonic-Youth-Vergleich drängte, sollte ruhig offensichtliche Ahnungslosigkeit genannt werden. Wer aber sinistres Dängeln und immerfort wiederholte Melodien mag, und solche soll es ja geben, wird den Weg nach Treptow finden. Der Freund der auftoupierten Haarpracht und des wohlplazierten Kajalstrichs weiß eh längst, wo sein Wallfahrtsort zu suchen ist.

Am 27.11. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

Jahrelang hat die Metal-Szene gegen das Vorurteil gekämpft, daß der gemeine Metal-Musiker oder -Fan ein hirnloser, sexistischer und brutaler Tropf ist. Zumindest der erste Punkt konnte teilweise ausgeräumt werden, aber wo Rauch ist, ist hin und wieder auch tatsächlich Feuer. So zum Beispiel Deicide aus Florida. Dortselbst werden sie auch gemixt von dem legendären Scott Burns in den noch legendäreren Morrissound Studios in Tampa. Daß sich fast alle Death- Metal-Bands nahezu gleich anhören, liegt vornehmlich daran, daß es nichts Größeres für die Vertreter des Todesbleis gibt, als dort produziert zu werden. Deicide nun halten sich zugute, daß es niemanden gibt, der so brutal klänge wie sie. Da ist durchaus was dran. Auf Deicide-Platten gibt es keine balladesken Ruhepäuschen, kein Verschnaufen, nur gnadenloses Geknüppel, Break an Break und Kotzgesang, daß einem das Frühstück unangenehm in die Realität zurückfällt. Leider nur sind Deicide anerkanntermaßen so ziemlich die bescheuertsten Langhaarigen, die auf Gottes gütiger Erde wandeln. Sie bezeichnen sich selbst als überzeugte Satanisten, Sänger Glen Benton hat sich ein umgedrehtes Kreuz in die Stirn einbrennen lassen, die anderen haben auf gleiche Weise ihre Oberarme verunstaltet. Doof wie Brot. Der Legende nach, die sie über sich selbst verbreiten, sind sie zwar Brüder in Satan, aber gehen sich ansonsten ständig gegenseitig an die Gurgel. Gitarrist Eric Hoffman glaubt, daß demnächst auch mal ein Unbeteiligter dran glauben wird. Gesellige Gesellen.

Das genaue Gegenteil sind Atrocity, gegründet 1985 im Schwabenlande. Die fünf Herren aus Ludwigsburg widmen sich der intelligenten Spielart des Genres. Sie haben es sogar geschafft, ihre vorletzte Platte „Hallucinations“ in Florida von Scott Burns und Tim Morris produzieren zu lassen (s.o.) und sich trotzdem anders anzuhören. Für den durchschnittlichen Metal- Fan dürften sie aber einen ganzen Gang zu verschnüselt sein. Da dräuen die Keyboards, rotieren die Riffs, sie packen Ideen in einen Song, die anderen für ganze LPs genügen. Bei Breaks bleibt nicht einfach die Musik stehen, sondern in die Pausen schleicht sich auch schon mal ein überraschendes Klangbildchen. Hin und wieder treiben sie es mit dem Anspruch aber auch zuweit. „Hallucinations“ wurde als Konzept-Album propagiert, das eine durchgehende Geschichte erzählt, und auf dem Cover der letzten LP „Todessehnsucht“ findet sich ein Schopenhauer-Zitat. Dritte im Bunde sind schließlich Gorefest aus Holland, 1989 gegründet und vom Hörensagen nach Pestilence dort die zweitbeste Death-Metal-Band.

Am 27.11. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108–114, Kreuzberg

Hier inzwischen fast bekannter als in ihrer Heimat sind Anhrefn aus Wales. Sie spielen zwar offensichtlich einen schönen geraden Punkrock, aber wollen partout nicht in diese Schublade eingeordnet werden. Und das, obwohl sie zuletzt noch eine alte Punk-Tradition für sich entdeckt haben: das Einbauen des einen oder anderen Reggaes. Vornehmlich aber geht es im 4/4- Takt erklecklich schnell nach vorne immer mit dem Sinn für die gute Melodie. Gesungen wird in walisisch. Zum ersten, weil es ihre Muttersprache ist und sie Englisch erst in der Schule lernten. Zum zweiten als politisches Statement gegen die Unterdrückung der walisischen Kultur durch die Londoner Zentralregierung. Separatisten sind Anhrefn trotzdem nicht, sie selbst bezeichnen sich als „Culturists“ und lehnen die radikalen Nationalisten in ihrer Heimat ab. Und noch eines haben sie sich vorgenommen: nie ein Liebeslied zu spielen. Aber das kann dem deutschsprachigen Zuhörer auch egal sein. Wer kann schon Walisisch? Vorher spielt die gerade aktuelle Besetzung der Westberliner Rattle Rats, bei denen die Mitglieder um Sängerin Patti selten länger als für die Dauer einer Bierbüchse dieselben sind.

Am 28.11. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 158, Schöneberg

Mit Fassung trugen die vier Herren von King Kong, daß ihre Plattenfirma Ariola weit weniger von den neuen Aufnahmen überzeugt war als sie selbst und sie deshalb kurzerhand feuerte. Schnellentschlossen gründeten sie selbst ein Label, um ihr neuestes Machwerk unter die Menschen zu bringen. „Life Itself Is Sweet, Sweet, Sweet!“ wurde der übliche Schweinerock, den man von der Band um den Ex-Arzt Jan, der sich damals noch Farin Urlaub nannte, erwarten durfte. Durchs Info geistert das Wort Konzeptalbum, aber das soll wohl ein Scherz sein. Zwar wird mehrfach Robert De Niro aus „Taxi Driver“ gesampelt und die Platte ist Travis Bickle gewidmet, aber ein Konzept ist zwischen den krachenden Gitarren und schleimig-großen Melodien nicht zu entdecken. Aber obwohl sich einige meiner Vorurteile über King Kong bestätigt haben, muß ich doch zugeben, daß dies eine klasse Mainstream-Kackrock-Platte geworden ist. Vielleicht sollten sie in L.A. damit hausieren gehen.

Am 29.11. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

Schocker vom alten Schlage sind Die Form aus Frankreich. Ihre in letzter Zeit leicht tanzbarer geratenen Elektro-Ergüsse werden fast vollständig von einem Muli-Media-Konzept aus Blut, Leder, Sex und Tod überlagert, das mit Hilfe von Video und Laiendarstellkunst ans Publikum gebracht wird. Wem das Fernsehprogramm zu langweilig ist, kann hier seinen Abend auflockern.

Am 29.11. um 22 Uhr im Franz, Schönhauser Allee 36–39, Prenzlauer Berg

Die Ukrainians stammen zwar aus dem englischen Kohlenpott, spielen aber genau das, was ihr Name nahelegt: Ukrainische Volksmusik. Dabei war ihr Gründer Pete Solovka vormals bei der Gitarrenbimmelband Wedding Present, aber daran erinnert nun gar nichts mehr. Der gute Pete gedachte statt dessen seiner Vorfahren, insbesondere seinem Vater, der in Manchester den „Ukrainian Club“ leitete, und fand wohl auf dem Speicher noch einige Originalinstrumente.

Am 30.11. um 22 Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg Thomas Winkler