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Politbegegnung in italienischem Knast

■ Ex-Staatschef Cossiga traf Renato Curcio, den Gründer der Roten Brigaden

Rom (taz) – Zu unvermittelten und mitunter auch großzügigen Gesten ist er noch immer fähig, trotz seines „Ruhestandes“: Francesco Cossiga, 62, bis Mitte des Jahres Staatspräsident und damals mit seinen oft ungezügelten Rundumattacken gefürchtet, hat einen seiner einst gefährlichsten Widersacher im Gefängnis aufgesucht. Renato Curcio, wegen seiner geradlinigen Art und seiner Reflexivität bereits zu einer Art Mythos gewordener Namensgeber und Gründer der „Roten Brigaden“, sitzt in der römischen Haftanstalt eine fünfundzwanzigjährige Gefängnisstrafe ab — obwohl er, bereits seit 1974 in Haft, sich nicht ein einziges Mal einer Bluttat schuldig gemacht hat. 1991 hatte Cossiga, damals noch Staatspräsident, den Entschluß bekanntgegeben, den BR-Gründer zu begnadigen, „als symbolischer Akt des Beendigung des gesellschaftlichen Kampfes, der sich in den siebziger Jahren entwickelt hatte“.

Cossiga fühlte sich zu einer solchen Geste ermächtigt: Während der besonders heftigen Zeit des Linksterrorismus war er Innenminister und dann ab 1979 bis 1980 Regierungschef. Da sorgte er für die Verabschiedung der berüchtigten „Kronzeugengesetze“, die zwar die bis dahin unbesiegbar scheinenden Roten Brigaden und analoge Organisationen wie die „Prima linea“ weitgehend zerschlugen, aber auch unzählige Unschuldige aufgrund aufgeblähter Anschuldigungen durch die Aussteiger ins Gefängnis brachten.

Die Initiative Cossigas 1991 ging unter in einem Meer von Protesten durch Angehörige von Terrorismus-Opfern, vor allem aber durch einen institutionellen Konflikt: Der sozialistische Justizminister Claudio Martelli fühlte sich übergangen und blockierte den Ansatz bereits im Entstehen. Curcio blieb in Haft, und Cossiga sah jetzt Grund, sich bei ihm zu entschuldigen, weil er „die Ruhe Ihres Gefängnislebens seinerzeit so massiv gestört“ habe.

Ansonsten, so berichtete Cossiga nach dem eineinhalbstündigen Gespräch, habe man viel gelacht — vor allem über die von Mafia-Aussteigern jüngst behauptete Zusammenarbeit zwischen Organisierter Kriminalität und Roten Brigaden sowie über die angeblich aus politischen Kreisen ergangenen Verbote mafioser Initiativen zur Befreiung des entführten Aldo Moro.

Cossiga nahm den Besuch auch zum Anlaß, die Wirkungen der seinerzeit von ihm durchgepeitschten Gesetze zur Behandlung von Aussteigern zu kritisieren: „Da sind Leute nach wenigen Jahren oder Monaten entlassen worden, die wegen schlimmer und schlimmster Bluttaten angeklagt waren, nur weil sie ausgesagt haben, und Menschen wie Dr. Curcio sitzen noch ein, obwohl man ihnen allenfalls ihre Ideologie, die Gründung der Organisation und ein paar Brandanschläge gegen Objekte vorwerfen konnte.“ Anerkennung fand auch Curcios „Nachdenklichkeit“ und „Offenheit“, mit der er zu seinen damaligen Handlungen steht „ohne in Prinzipienreiterei den Kampf fortsetzen zu wollen, sondern seinen historischen Irrtum eingesteht, wonach man in Italien eine Revolutiuon in Gang bringen müsse und könne“. Andererseits berunruhigt Cossiga, daß man „über Curcio noch immer nicht reden kann, ohne böse Reaktionen zu provozieren“. Immerhin: Im Januar soll ein Gericht darüber entscheiden, ob Curcio eine Art Halbfreiheit und später dann eine bedingte Entlassung erhält, ähnlich wie RB-Mitbegründer Alberto Franceschini seit einigen Monaten: zunächst Tagesausgang, dann Freiheit mit wöchentlicher Meldepflicht. Werner Raith

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