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Die Ukraine rollt den Rubel aus

Mit dem Austritt aus dem Rubelverbund wird die Ukraine die Hyperinflation und das riesige Budgetdefizit kaum in den Griff bekommen  ■ Aus Kiew Klaus Bachmann

„Das ist der erste Schritt auf dem Weg zu einer normalen Wirtschaft“, kommentiert Pawlo Schewtschenko, Chefredakteur der in Lemberg (Lwow) erscheinenden Wirtschaftszeitung Dilo, den Austritt der Ukraine aus dem Rubelverbund. „Das hätte man schon viel früher machen sollen.“ Die Freude über die eigene Währung, den „Karbowanjez“, der im Januar nächsten Jahres dann durch die „Hrywnja“ ersetzt werden soll, dürfte allerdings kaum lange andauern. An den Finanzproblemen der Ukraine ändert sich dadurch nämlich nur wenig.

Die Bevölkerung reagierte auf den Schritt der Regierung überhaupt nicht. Sie kennt den „Karbowanjez“ schon lange als Kuponwährung neben dem Rubel. Was am 12.November geschah, betraf ohnehin nur die Betriebe: Ab 23Uhr nachts wurde die Rubelabrechnung der Betriebe durch die Abrechnung in Karbowanjez ersetzt. Das war notwendig geworden, nachdem die Kursunterschiede zwischen Kiew und Moskau gigantische Rubelspekulationen ermöglicht hatten. Bis dahin hatte zwischen ukrainischer und russischer Währung das Verhältnis 1:1 gegolten – obwohl die Inflationsrate in der Ukraine viel höher lag und der reale Kurs eigentlich bei 1Rubel zu 1,4Karbowanjez hätten liegen müssen. Es genügte, in Moskau Rubel in Dollar zu tauschen und sie dann in der Ukraine gegen ukrainische Währung einzuwechseln, um gigantische Spekulationsgewinne zu erzielen. Für ukrainische Betriebe war es außerdem wesentlich billiger, in Rußland als in der Ukraine einzukaufen. So kam es, wie es kommen mußte: Jene 700 Milliarden Karbowanzy, die die Ukraine zur Dekkung ihres Haushaltsdefizits in Umlauf gebracht hatte, flossen auf der Stelle nach Rußland ab und vergrößerten das Zahlungsbilanzdefizit der Ukraine gegenüber Rußland. Da beide Staaten allerdings gegen solche Praktiken ein bilaterales Abkommen zum Ausgleich ihrer Bilanzen abgeschlossen haben, zog Moskau die Notbremse. Um den weiteren Ausverkauf russischer Güter in die Ukraine zu bremsen, drehte Moskau den Treibstoffhahn zu. Sofort bildeten sich Schlangen vor den Tankstellen, und die ukrainischen Fluglinien mußten aus Spritmangel einen Großteil der Inlandsflüge und der über Rubel finanzierten Auslandsflüge ausfallen lassen.

Dieses Problem dürfte durch die Einführung der Karbowanjez- Übergangswährung gelöst sein: Zwar wurden die in Umlauf befindlichen Rubel zunächst zwei Tage lang nur im Verhältnis 1:1 eingetauscht. Wenn aber Betriebe für Rubelimporte heute rücktauschen wollen, gilt der von der Nationalbank festgelegte „Floatingkurs“, der derzeit bei 1:1,4 liegt. Ob allerdings die ukrainischen Betriebe dem gesetzlichen Zwang zum Eintauschen unter diesen Bedingungen tatsächlich nachgekommen sind und ihre Rubelvorräte nicht einfach gehortet haben, vermag niemand zu sagen.

Auch ansonsten herrscht in Kiew Ratlosigkeit: Zwar hat die Ukraine nun eine eigene Währung, doch befürchten Experten, daß dieser Schritt dem Land eine ungefähr 40prozentige Preiserhöhung bescheren wird. Um diesen Wert verteuern sich infolge des Kursanstiegs die Rubelimporte – meist strategische und inflationsempfindliche Güter wie Öl, Gas, Benzin und Maschinen. Schuld daran ist die Ukraine selbst: Insbesondere die inzwischen abgetretene Regierung Fokin pumpte gewaltige Mittel in Form von Subventionen in die Schwerindustrie. Das Parlament wiederum verabschiedete kontraproduktive Sozialgesetze zur Lohnindexierung, die paradoxerweise den mittleren und höheren Einkommen mehr brachten als den sozial Schwächeren. Dadurch schwoll das Budgetdefizit auf 55Prozent des Bruttoinlandsprodukts an. Gleichzeitig mit dem Austritt aus dem Rubelverbund verabschiedete das Parlament auch noch eine Erhöhung der Mindestlöhne auf 2.300 Karbowanzy, was die Preise nach Expertenschätzungen um durchschnittlich 20 bis 25 Prozent steigen lassen wird. Kein Wunder, daß sich die Ukrainer an ihrer neuesten Errungenschaft so recht nicht freuen können. Jener 2.300-Karbowanzy- Mindestlohn, den das Parlament gerade festgelegt hat, ist nämlich nicht mehr wert als vier Dollar.

Daran wird sich auch nichts ändern, solange die Regierung ihre Politik des Gelddruckens weiterführt, mit denen lediglich den riesigen Staatskombinaten, die meistens dem militärisch-industriellen Komplex angehören, unter die Arme gegriffen wird. Zur Konjunkturbelebung trägt diese Art des Deficit-spending jedenfalls nicht bei. Trotz Hyperinflation geht die Produktion immer weiter zurück, trotz erhöhter Geldmenge sind Kredite unerschwinglich. Sie werden zumeist an Finanzbörsen oder von kommerziellen Banken versteigert. Da diese praktisch eine Monopolstellung innehaben, langen sie bei den Zinssätzen kräftig zu. Während sie ihre Mittel von der Nationalbank zu etwa 50 Prozent bekommen, schreiben sie ihre Kredite bei Versteigerungen im Moment zu 75Prozent auf drei Monate aus. Über den Tisch gehen die Verträge dann meist zu 110 bis 115 Prozent – wohlgemerkt auf drei Monate. Für den ohnehin nur marginal vorhandenen Privatsektor sind Kredite außerhalb jeder Reichweite. Vom Austritt der Ukraine aus dem Rubelverbund gehen so weniger wirtschaftliche als politische Impulse aus: Langsam, aber sicher, rollt der Rubel aus.

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