: Haftentlassungsanträge der RAF
Oberlandesgerichte müssen über vorzeitige Freilassung von Lebenslänglichen entscheiden/ „Schwere der Schuld“ soll politisch bewertet werden ■ Aus Berlin Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) – Sieben zu lebenslanger Haft verurteilte Gefangene aus der RAF haben in den vergangenen Tagen bei den zuständigen Gerichten ihre vorzeitige Haftentlassung auf Bewährung beantragt. Bei den Inhaftierten, die sämtlich seit fünfzehn oder mehr Jahren sitzen, handelt es sich um Karl-Heinz Dellwo, Lutz Taufer, Hanna Krabbe, Irmgard Möller, Christine Kuby, Knut Folkerts und Stefan Wisniewski. Dellwo hatte diesen Schritt Anfang November angekündigt und versichert, daß keine/r der AntragstellerInnen nach einer möglichen Entlassung erneut in den Untergrund abtauchen werde.
Dellwos Anwältin Barbara Klawitter hält die Frage der „Schwere der Schuld“ – normalerweise das zentrale Kriterium für die Entlassungs-Entscheidung der Gerichte – im Fall der RAF-Gefangenen für unangemessen. Kein RAF-Angehöriger habe „um des persönlichen Vorteils willen“ gehandelt, schreibt die Hannoveraner Anwältin in ihrem Antrag an das OLG Düsseldorf. „Alleinige Motivation war das angestrebte Ziel einer durchgreifenden gesellschaftlichen Umwälzung“.
Das Kriterium der „Schwere der Schuld“ könne dort nicht greifen, „wo kollektiv, politisch motiviertes Handeln vorliegt“. Deshalb müsse das Gericht die letzten Erklärungen und Interviews der RAF und der Gefangenen zum „Kern der Betrachtung“ machen. Die Gruppe hatte in den vergangenen Monaten mehrfach versichert, den „bewaffneten Kampf“ unter den heutigen Bedingungen nicht fortführen zu wollen. Dies sei „politisch ebenso verbindlich“ wie die Ankündigung, nicht mehr in den Untergrund zu gehen.
Sollten die Richter die Frage der Schuldschwere im Sinne der Gefangenen entscheiden, steht die nächste Verfahrenshürde allerdings schon im Raum. Dann müßten die Gerichte nämlich nach dem Wortlaut des Gesetzes zusätzlich Sachverständigengutachten anfordern, in denen geklärt werden soll, ob die „Gefährlichkeit“ der Inhaftierten „fortbesteht“. Normalerweise ein Job für den Psychiater. Nicht jedoch im Fall der RAF-Gefangenen, meinen die Antragsteller.
Weil es bei der RAF ersichtlich nicht um „geistig-seelische Krankheiten“ gehe, wünscht sich Dellwo den Frankfurter Kriminologen und Sozialwissenschaftler Professor Albrecht als Gutachter. Alle sieben Gefangenen seien nicht bereit, „sich psychiatrisch untersuchen zu lassen“, heißt es in Dellwos Antrag weiter, weil dies dem „Versuch einer Stigmatisierung durch Psychiatrisierung“ gleichkäme.
In dem Antrag wird außerdem der Versuch unternommen, die isolierenden Haftbedingungen, denen die Gefangenen insbesondere in den 70er und 80er Jahren ausgesetzt waren, nachträglich als Begründung für eine vorzeitige Entlassung in Anspruch zu nehmen. Die Zeiten der Isolationshaft, deren Folgen amnesty international 1980 „in einigen Fällen an die Auswirkungen sensorischer Deprivation in experimentellen Situationen“ erinnerten, müßten „mindestens doppelt“ abgerechnet werden, heißt es in Dellwos Antrag. Das allerdings wird schwierig werden: Die entsprechende Bestimmung der Strafprozeßordnung sieht eine Mehrfachanrechnung nur für im Ausland erlittene besonders schwere Haftzeiten vor.
Karl-Heinz Dellwo, Lutz Taufer und Hanna Krabbe sollen im Dezember im Rahmen des Haftentlassungsverfahrens vom Oberlandesgericht Düsseldorf angehört werden. Alle drei waren von diesem Gericht wegen des Überfalls auf die Deutsche Botschaft in Stockholm im Jahr 1975 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Dabei waren zwei Botschaftsangehörige und zwei RAF-Mitglieder ums Leben gekommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen